Deutsche Energiewissenschaftler appellieren zur Rettung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und fordern Einschränkung der Solarstrom-Förderung

In einem Aufruf an den Umweltausschuss des Deutschen Bundestages fordern Energieexperten aus Universitäten und Instituten eine dynamische Anpassung der Einspeisevergütung für Solarstrom mit über die festgeschriebene Degression hinausgehenden Senkungen sowie die Einhaltung des Photovoltaik-Zubaukorridors von 3,5 Gigawatt pro Jahr. Die Unterzeichner des Aufrufes betonen, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ein besonders erfolgreiches Politikinstrument ist.

Die drei Elemente – der Einspeise-Vorrang für erneuerbare Energien in das Stromnetz, die 20-jährige Vergütung zu technologiespezifischen Einspeisetarifen sowie die vorgesehene jährliche Degression der Tarife – ermöglichten eine schnelle Verbreitung der erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung in Deutschland, aber auch in anderen Ländern.

Erfolgsmodell EEG; Ökostromanteil seit 2000 verdreifacht
In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in Deutschland von 5 % auf 16 % mehr als verdreifacht. Der technische Fortschritt und die Kosten je erzeugter Kilowattstunde hätten jedoch bei allen Erzeugungsarten eine Dynamik entwickelt, die noch im Jahr 2000 von vielen für unmöglich gehalten wurde. Das EEG sei daher in den letzten Jahren für mehr als 40 Länder Vorbild für eigene Regelungen gewesen. Kein anderes Fördersystem schaffe durch die klare Zielorientierung und Risikobegrenzung ein derartiges Investitions- und Innovationsklima. Das Ziel eines Zeitalters der erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung basiere nicht mehr auf der reinen Idee, sondern auf Erfahrungen auf dem Weg von der Phase der Nischenmärkte zur Marktdiffusion.

Überraschende Marktentwicklung der Photovoltaik, höchst dynamischer Zubau
Insbesondere bei der Photovoltaik, der Technik mit den derzeit (noch) höchsten Erzeugungskosten, aber den geringsten Betriebskosten, ist durch technischen Fortschritt und Mengeneffekte eine Kostendegression sowie eine Akzeptanz bei Investoren erreicht worden, die so nicht vorausgesehen wurde, betonen die Energieexperten. Strom aus Photovoltaik-Anlagen wird heute zu Kosten produziert, die in vielen Regionen der Welt im Bereich der Netzparität liegen. Auch in Deutschland werde Sonnenstrom immer günstiger erzeugt. Dies habe zu einer Marktentwicklung geführt, die ebenfalls so kaum jemand geahnt hat. So ging das erst im August 2009 erschienene Leitszenario Erneuerbare Energien 2009 der Bundesregierung von einem jährlichen Ausbau der Photovoltaik von rund 1.400 Megawatt (MW) aus, d.h. von 23.000 MW insgesamt installierter Leistung im Jahr 2020. Tatsächlich werden laut ÜNB-Prognose Ende 2010 bereits etwa 19.000 MW installiert sein, wovon allein knapp 9.500 MW dieses Jahr zugebaut wurden. Trotz der bereits beschlossenen Senkung der Vergütungssätze werde man davon ausgehen müssen, dass diese Ausbauraten unter den gegebenen Bedingungen sich auch 2011 und 2012 in etwa so fortsetzen dürften. Denn die Produktionskosten der Photovoltaik-Systeme seien ebenfalls deutlich gesunken und könnten auch im kommenden Jahr durch Skaleneffekte weiter zurückgehen, so die Experten.

Zu schneller Photovoltaik- Zubau birgt die Gefahr, dass die EEG-Umlage viel zu schnell steigt
"Es war jedoch nie der Grundgedanke des EEG, dass die derzeit in der Vergütung noch teuerste Stromerzeugungs-Technologie der erneuerbaren Energien am schnellsten wächst", heißt es in dem Appell. "Bei der Photovoltaik war (und ist) das Ziel: Technologieentwicklung und Kostensenkung. Ein zu schneller Zubau der Photovoltaik zusammen mit den Mitnahmeeffekten durch das ‚Grünstromprivileg‘ (siehe unten) birgt jetzt die Gefahr, dass die EEG-Umlage deutlich zu schnell steigt (von derzeit 2,0 ct/kWh auf bis zu 3,5 ct/kWh im Jahre 2011 und möglicherweise bis zu 4,5 ct/kWh im Jahre 2012), mit der Folge, dass das EEG und die erneuerbaren Energien insgesamt an Akzeptanz verlieren und zur Disposition gestellt werden."

Fadenriss vermeiden, Technologieführerschaft erhalten
Dann käme es zu einem gewaltigen Rückgang der Investitionen, zu beträchtlichen Produktionsüberkapazitäten und zu einem technologischen Fadenriss in einem Technologiebereich, in dem die deutsche Industrie heute Vorreiter ist, warnen die Experten. Der "Übergang der heutigen, meist auf fossilen Energieträgern basierenden Stromerzeugung in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ist alternativlos. Hierzu als eine führende Industrienation mit einem angemessenen Instrumentarium beizutragen, ist aus klima-, ressourcen- und wirtschaftspolitischen Gründen die richtige energiewirtschaftliche, aber auch industriepolitische Strategie für Deutschland.

Der Appell an die Mitglieder des Umweltausschusses umfasst fünf Punkte:
1.    Beweisen Sie jetzt Mut und passen Sie die PV-Vergütungen dynamisch an. Das EEG sieht einen Ausbaukorridor von 3,5 GW pro Jahr vor, während die PV-Branche 6 GW in 2011 und 3-5 GW danach für geeignet hält. Wir fordern, die Einhaltung des Korridors von 3,5 GW pro Jahr sicherzustellen. Hierzu stehen verschiedene Optionen zur Verfügung: eine deutliche, über die festgeschriebene Degression hinausgehende Absenkung der Vergütungssätze zu Beginn des Jahres 2011 oder eine quartalsweise Senkung der Vergütungssätze um 3 bis 5% für den Fall, dass eine Überschreitung des linear interpolierten Ausbaukorridors im Vorquartal stattgefunden hat.

2.    Schaffen Sie die Mitnahmeeffekte durch das "Grünstromprivileg" ab. Der § 37 EEG befreit die zweifache Menge des über das Grünstromprivileg vermarkteten Stroms von der EEG-Umlage. Diese als Nischenregel für kleine Ökostrom-Anbieter konzipierte Regelung führt aktuell dazu, dass die EEG-Vergütung auf weniger Schultern verteilt wird, ohne dass zusätzlicher EE-Strom ins Netz kommt. Dies beschleunigt die Umlagesteigerung ohne ökologischen Nutzen, aber mit wirtschaftlichen Nachteilen für die Stromverbraucher. Der selbstverstärkende Effekt lässt das Grünstromprivileg zum unberechenbaren Kostenmultiplikator werden. Allein 2011 könnte die Umlage durch das Grünstromprivileg um bis zu 0,5 ct/kWh zusätzlich steigen.

3.    Verlangen Sie von größeren PV-Anlagen Systemdienstleistungen. Ähnlich wie bei Windanlagen müssen angesichts der schieren Mengen auch größere PV-Anlagen (über 100 kW) zur Netzstabilität geregelt werden können, da sonst bald lokale Netzprobleme drohen. Hierzu sind Regelungen im EEG zur Festsetzung von Anforderungen für Neu- und Altanlagen erforderlich.

4.    Handeln Sie schnell. Aktuell wird im Bundestag ohnehin eine kleine EEG-Novelle zur Anpassung des EEG an die EU-Richtlinie für Erneuerbare Energien beraten. Speisen Sie die genannten, dringend notwendigen Änderungen bei den Photovoltaik-Vergütungssätzen, zum Grünstromprivileg und den PV-Systemdienstleistungen in das laufende Gesetzgebungsverfahren ein, damit die Änderungen zu Beginn des Jahres 2011 in Kraft treten können. Ein Warten auf die große EEG-Novelle 2012 ist zu spät.

5.    Setzen Sie Signale der Verlässlichkeit. Investoren brauchen Sicherheit. Deswegen wäre es extrem kontraproduktiv, wenn Sie jetzt zuwarten würden – um dann zum 1.1.2012 im Rahmen der großen EEG-Novelle aufgrund der dann stattgefundenen Entwicklung grundlegende Förderelemente des EEG in Frage zu stellen. Damit würde das Vertrauen in die Verlässlichkeit der EE-Politik in Deutschland irreparabel beschädigt – auch in den anderen Bereichen wie Windkraft und Biomasse. Riskieren Sie nicht, dass der Erfolgsfaktor und Exportschlager EEG international Schaden nimmt.

Die Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland stehe an einem Scheideweg, so die Wissenschaftler: Entweder jetzt den Ausbau der Photovoltaik zu verlangsamen und mit kontrollierter Ausbaugeschwindigkeit fortzuschreiten – oder wegen mangelnder Akzeptanz in den Jahren 2012 und 2013 möglicherweise vor einem "Scherbenhaufen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes" und damit des verlässlichen Ausbaus der erneuerbaren Energien insgesamt zu stehen.

Die Unterzeichner:
Prof. Dr. Georg Erdmann, TU Berlin
Prof. Dr. Manfred Fischedick, Wuppertal
Prof. Dr. Christian von Hirschhausen, TU Berlin
Prof. Dr. Olav Hohmeyer, Universität Flensburg
Prof. Dr.-Ing. Eberhard Jochem, ETH Zürich
Prof. Dr. Claudia Kemfert, DIW, Berlin
Dr. Felix Matthes, Öko-Institut, Berlin
Dr. Martin Pehnt, ifeu, Heidelberg
Dr. Mario Ragwitz, Fraunhofer ISI, Karlsruhe
Prof. Dr. Jürgen Schmid, Fraunhofer IWES, Kassel

15.12.2010  | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH

Beliebte Artikel

Schließen