Hans-Josef Fell: Atomrenaissance statt Sonnenstrategie?

Foto: Guido Bröer
Während Deutschland die Erneuerbaren deckelt, wird in Karlsruhe am KIT die Atomforschung forciert
Während Deutschland die Erneuerbaren deckelt, wird in Karlsruhe am KIT die Atomforschung forciert
Von Hans-Josef Fell
Der Rückgang des jährlichen Ausbaus der Erneuerbare Energien in Deutschland wird immer schlimmer. Gerade im Solarsektor läuft nicht mehr viel. Wurden noch in den Jahren 2010 bis 2013 über 7 Gigawatt (GW) neue PV Leistung zugebaut, so schrumpfte dies auf nur noch etwa 1,5 GW in den letzten Jahren. Damit wird nicht einmal das Ausbauziel der Bundesregierung von 2,5 GW erreicht.
Nun müsste man erwarten, dass dafür die politischen Anstrengungen verstärkt werden sollten. Da Deutschland mit den Stimmen aller im bisherigen Bundestag vertretenen Parteien den Atomausstieg beschloss, sollte man meinen, dass alle Unterstützung für Atomenergie eingestellt würde und auf Erneuerbare Energien konzentriert werden müsste.
Doch weit gefehlt. Die Bundesregierung finanziert mit Mitteln aus dem Forschungsetat den Aufbau der europaweit größten Forschungseinrichtung für die Entwicklung neuer Generationen von Atomreaktoren am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), unterstützt weiterhin mit Milliardenbeiträgen die Kernfusionsforschung und tut nichts um auf europäischer Ebene gegen die massiven Subventionen für den Ausbau neuer Atomreaktoren  anzugehen.
Alles folgt aus dem EURATOM-Vertrag aus dem Jahre 1957 wo das europäische Ziel des Aufbaus einer mächtigen Atomindustrie festgelegt wurde. Dieser zu den römischen Gründungsverträgen der EU gehörende Vertrag ist heute noch gültig und bildet das Rückgrat für EU und Deutschland alles zu tun, um das Ziel der Stützung der Atomenergie zu erfüllen. Allen deutschen Atomausstiegsbeschlüssen zum Trotz.
Bezeichnend ist das Abweisen der Greenpeace-Klage zu den massiven wettbewerbsverzerrenden Subventionen für den Neubau des britischen AKW Hinkleypoint durch den Europäischen Gerichtshof. Begründet wird die Erlaubnis der EU Kommission dieser unglaublichen Subvention aus Steuergeldern mit dem Auftrag des EURATOM-Vertrages. Für Erneuerbare Energien gibt es keinen ähnlichen Vertrag. Daher kann die EU-Kommission unentwegt Verschlechterungen der Unterstützung für Erneuerbare Energien durchsetzen, wie beispielsweise die massiv den Ausbau behindernden Wettbewerbsauflagen für das EEG.
Der gleiche EURATOM-Vertrag ist die Grundlage für den massiven Ausbau der Atomforschung am KIT in Karlsruhe. Zwar ist das Helmholtzinstitut KIT erst kürzlich dem Forschungsverbund Erneuerbare Energien beigetreten. Dabei wirkt schon befremdlich, dass das einstige Atomforschungszentrum erst bis 2017 wartete, um sich auch offiziell zur Forschung an Erneuerbaren Energien zu bekennen. Natürlich wird gute Forschungsarbeit am KIT für Erneuerbare Energien geleistet. Aber was in den letzten Monaten in den Aufbau neuartiger Atomkraftforschung investiert wird, ist mit der Erneuerbare-Energien-Forschung am KIT nicht wirklich zu vergleichen. 
Es ist nicht glauben! Deutschland steigt per Gesetz aus der Atomkraft aus, aber in Karlsruhe wird in großem Stil an dem Ausbau der Forschung für die Entwicklung neuer Generationen von Atomkraftwerken geforscht. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, aber gefördert mit Mitteln aus dem Bundesforschungsministerium wird die europäische Forschung für neue Atomkraftwerke vorangetrieben.
Um Licht in das Dunkel zu bringen, wurde jetzt das Karlsruher Bündnis gegen neue Generationen von Atomreaktoren gegründet. In diesem breiten Bündnis von Parteien, Umweltverbänden, Atominitiativen und Einzelpersonen wird versucht, Licht in das Dunkel der europäischen bzw. weltweiten Forschung und Entwicklung zu neuen Atomreaktoren zu bringen, diese zu dokumentieren und die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorzustellen.
Seit April 2017 ist das Joint Research Centre (JRC) Standort Karlsruhe (ehemals Institut für Transurane = ITU) auf dem Gebiet des KIT Nord ein geistiges und materielles Zentrum der europäischen Atomforschung, weil wichtige europäischen Atominstitute nach Karlsruhe verlegt wurden. Zurzeit wird dort sogar ein neues Forschungs- und Lagergebäude, u. a. auch für hochradioaktive Stoffe, gebaut.
KIT und JRC Standort Karlsruhe sind über das EU-Projekt SAMOFAR an Thorium-Flüssigsalzreaktoren beteiligt, die eine integrierte Wiederaufarbeitung von waffenfähigem Uran 233 ermöglichen können. Diese Gefahren ungekannten Ausmaßes, die davon und von Kleinen Modularen Reaktoren (SMR) ausgehen, will das neue Bündnis untersuchen.
Bündnis 90/Die Grünen sind gut beraten, das längst überfällige Ende der sehr kostenintensiven Forschung für Atomkraft – Kernfusion und Kernspaltung – in den Koalitionsverhandlungen einzufordern und die freiwerdenden Milliarden Euro für die Erforschung von Erneuerbaren Energien, Speichern, Effizienz und Netzintegration umzuwidmen.
Auch das Ende des EURATOM Vertrages muss endlich über die Koalitionsverhandlungen auf die politische Tagesordnung.
Da kämpft die ganze Branche der Erneuerbare Energien gegen die weiteren Verschlechterungen der politischen Unterstützung für Erneuerbare Energien. Auch in der Forschung wird die Luft immer dünner, da wegen des Rückganges der privaten Forschungsmittel infolge des Verlustes der Solarindustrie in Deutschland auch die Forschungsmittel massiv eingebrochen sind. Doch für die Entwicklung neuer Generationen für Atomkraftwerke werden immer mehr europäische und nationale Forschungsmittel ausgegeben.
Wer sich in die Perspektive der vielen Atomfreunde in Union und FDP versetzt, die dem Merkelschen Atomausstieg nur mit geballter Faust in der Tasche zustimmten, der kann vielleicht sogar Methode dahinter erkennen: 
Zunächst wird der Ausbau der Erneuerbare Energien so stark gebremst, dass der Atomstromersatz ohne die Einhaltung der Klimaschutzziele nicht mehr gelingen kann. Dieses Ziel der Erneuerbare Energien Feinde ist übrigens schon erreicht. 
Als nächster Schritt wird dann die nächste Laufzeitverlängerung für Atomkraft gefordert. Und als dritter Schritt dann der Neubau von angeblich inhärent sicheren Atomkraftwerken, wofür ja in Karlsruhe am KIT die Forschung massiv ausgebaut wird.
Es wird Zeit, dass die Gesellschaft in Deutschland endlich aufwacht und merkt, dass der Atomausstieges noch längst nicht verwirklicht ist und dunkle Kräfte in EU-Kommission und deutscher Regierung exakt am Plan einer Renaissance der Atomenergie auch in Deutschland arbeiten.
Nur das Ende des EURATOM-Vertrages wird diesen dunklen Machenschaften alle rechtlichen und finanziellen Grundlagen entziehen. Daher gehört das Kündigen von EURATOM endlich in die vorderste Front der energiepolitischen Agenda. Und die Branche der Erneuerbare Energien muss endlich erkennen, dass der EURATOM-Vertrag als Grundfeste im Hintergrund eine der Hauptursachen für die zunehmenden politischen Erschwernisse für den Ausbau der Erneuerbare Energien in der EU und auch Deutschland ist.
Mir ist es unbegreiflich: Da schafft es die Lobby der fossilen und atomaren Wirtschaft lautstark in Kampagnen seit Jahren das Abschaffen des EEG und die Aufhebung des privilegierten Netzzuganges für Erneuerbare Energien zu fordern. Aber zur Forderung des Abschaffens von EURATOM und der massiven Subventionen für Kohle, Erdöl und Erdgas höre von den Verbänden der Erneuerbaren Energien leider nur sehr wenig.
Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group. Er war von 1998 bis 2013 Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. Jahrelang war er deren Energie- bzw. Forschungspolitischer Sprecher. Fell hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit entworfen und im Jahr 2000 durchgesetzt.
Mehr zum Thema auf der Homepage von Hans-Josef Fell
14.10.2017 | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH

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