Zeitforscher Prof. Geißler zur Zeitumstellung: Energieeinsparung selten belegt

Am 29. Oktober um 03.00 Uhr werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt und von der Sommer- auf die Winterzeit umgestellt. Der Zeitforscher und Professor an der Universität der Bundeswehr München, Karlheinz Geißler, steht dieser Prozedur skeptisch gegenüber. Erwünschte Energiesparmaßnahmen, wie immer wieder behauptet aber selten belegt, seien es jedenfalls nicht, so Prof. Geißler.   […]

Am 29. Oktober um 03.00 Uhr werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt und von der Sommer- auf die Winterzeit umgestellt. Der Zeitforscher und Professor an der Universität der Bundeswehr München, Karlheinz Geißler, steht dieser Prozedur skeptisch gegenüber. Erwünschte Energiesparmaßnahmen, wie immer wieder behauptet aber selten belegt, seien es jedenfalls nicht, so Prof. Geißler.   Zumal die inzwischen weitgehend privatisierte Energiewirtschaft eher an einem höheren Stromverbrauch interessiert sei, als an dessen Einsparung. „Jedes Jahr die gleiche Prozedur: Im Frühjahr wird uns eine Stunde genommen und im Herbst wird sie uns wieder zurückgegeben. Das stimmt natürlich nicht. Genommen wird uns gar nichts und geschenkt bekommen wir ebenso wenig. Wir manipulieren, denn wenn wir die Sommerzeit einführen und rückgängig machen, ändern wir zwar die Uhrzeiger aber nicht die Zeit“ erläutert Prof. Geißler.

Sind die Menschen die Herren der Zeit?

Da wir aber die Uhr so gerne mit der Zeit verwechselten, zumindest habe man uns dies beigebracht, erfreuten wir uns an der Illusion, wir Menschen wären Herren der Zeit, wir könnten über ihren Gang bestimmen, wir könnten sie sparen und die gesparte Zeit später dann leben. „Dies ist und bleibt ein Wunsch, ein nicht allzu frommer dazu. Zeit lässt sich entgegen allen Versprechen nicht sparen, sie lässt sich nicht schneller machen, nicht verschenken und auch nicht umstellen. Warum auch? Es gibt nämlich, entgegen anders lautenden Parolen, genug Zeit. Stündlich und täglich kommt neue nach. Was aber machen wir dann eigentlich im Frühjahr und im Herbst? Und warum tun wir das?“ fragt Geißler.

Uhrumstellung als staatliches Kriseninterventionsinstrument

Früher gab es laut Geißler einen Anlass für die Einführung der Sommerzeit. Erstmalig sei die 1916 geschehen, also während des Ersten Weltkrieges. Zum zweiten Mal habe sich das Hitlerregime, ebenso in Kriegszeiten (1940), an den Zeigern der Uhren zu schaffen gemacht. Und Anfang der Siebziger (1973), im Gefolge der Ölkrise, habe man dann erneut die Standardzeit durch die Sommerzeit unterbrochen. Immer sei dies mit der Absicht geschehen, Energie zu sparen, besonders Strom. Diesen drei Ereignissen ist laut Geißler gemeinsam, dass sie in Krisenzeiten stattfanden. Die Krise sei Anlass für die Uhrzeitmanipulation gewesen. Die Uhrumstellung war demnach ein staatliches Kriseninterventionsinstrument.

Frage nach dem Grund der Zeitmanipulationen

„Welche Krise aber wird heutzutage bewältigt?“, fragt sich der Zeitforscher. „Erwünschte Energiesparmaßnahmen, wie immer wieder behauptet aber selten belegt, sind es nicht“, so Geißler. Was aber sei dann der Grund für die Zeitmanipulationen, die uns zweimal im Jahr unruhig schlafen lassen? Regierungsamtlich werde keiner verlautbart. Die Verantwortung dafür sei inzwischen zum Europäischen Parlament nach Straßburg beziehungsweise Brüssel abgeschoben worden. Von dort aber höre man auch kein überzeugendes Argument. Zur Krisenintervention könne diese „Zeitstörung“ schon deshalb nicht dienen, weil die Befristung der Sommerzeit seit 2002 nach der „Neunten Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Januar 2001“, aufgehoben wurde.

Der Zeit eine Stunden zuschauen: das Beste was man machen kann

„Der Stundenklau im Frühjahr und das herbstliche Stundengeschenk werden damit zur unendlichen Geschichte. Jedes Jahr also der gleiche Ablauf – bereits dies belegt, dass die Uhrumstellung kein Krisensymptom mehr ist, ansonsten lebten wir ja in der Dauerkrise. Also wieder mal so eine politische Entscheidung, nach deren Grund man vergeblich sucht. Was also spricht dagegen, sich selbst einen Grund zu suchen? Soviel Freiheit erhält man nur selten geschenkt. Für all jene aber, die keinen finden, ein Angebot: Am Ende der Sommerzeit, jedes Jahr am letzten Oktoberwochenende, bekommt die Zeit, die uns so treu bis zu diesem Termin begleitet hat, eine Stunde lang Zeit um sich endlich mal auszuruhen. In dieser Stunde tritt sie auf der Stelle, entspannt sich von den vielen Anstrengungen und freut sich, dass sie nach einer Stunde wieder gehen kann. Dann darf man ihr zuschauen, das Beste was man machen kann“, so Geißler. „Also vergessen wir die Uhr in dieser Stunde, sie geht sowieso falsch!“, fasst der Zeitforscher zusammen,

Von Karlheinz Geißler ist ein neues Buch erschienen: Alles Espresso. Kleine Helden der Alltagsbeschleunigung, Hirzel Verlag Stuttgart

28.10.2006   Quelle: Prof. Karlheinz Geißler, Universität der Bundeswehr München   Solarserver.de   © EEM Energy & Environment Media GmbH

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