Strommarkt-Studie: Regionalität eröffnet Stadtwerken neue Geschäftsmodelle
Gemeinsam mit Kollegen der TU Berlin befragten die Forscher Haushalts- und Industriekunden zu ihren Motiven und entwickelten ein neues computergestütztes Simulationsmodell mit diesen Daten. Das Ergebnis: Einem regionalen Stromlieferanten nehmen die Kunden auch etwas höhere Preise nicht übel.
Es gibt Dienstleister, denen die meisten Menschen lieber treu bleiben. Das gilt nicht nur für Zahnarzt oder Frisör, sondern auch für den Stromanbieter. Nur selten wechseln die Kunden zu einem anderen Energieunternehmen, und dann bevorzugen sie regionale Anbieter.
Das ist aus Sicht von Volkswirten eigentlich kein optimales Verhalten. „Um das zu verstehen, reichen unsere üblichen volkswirtschaftlichen Modelle nicht aus“, so Prof. Dr. Andreas Pyka, Leiter des Fachgebiets Innovationsökonomik an der Universität Hohenheim.
Er arbeitet mit seinem Doktoranden Malcolm Yadack und mit Kooperationspartnern an der Technischen Universität Berlin an einem neuen, computergestützten Simulationsmodell, das dieses Verhalten abbilden kann.
„Uns interessiert, welche Motive für die Wahl des Stromanbieters ausschlaggebend sind – und welche Rolle die Regionalität dabei spielt“, erklärt Yadack.
„Und mit den Modellen, die wir damit erstellen, wollen wir herausfinden, ob das den Stadtwerken neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet und wie es sich auf die gesamte Volkwirtschaft und auf die Energiewende auswirkt.“
Haushaltskunden setzen auf Regionalität – und Grünstrom
Zunächst nahmen die Forscher die Motive der Haushaltskunden unter die Lupe. Sie starteten eine Umfrage unter den Kunden mehrerer Stadtwerke – und erhielten allein aus einer der regionalen Befragungen rund 4.500 Rückmeldungen.
„Erwartungsgemäß sind das Preis-Leistungs-Verhältnis und die Versorgungssicherheit den Kunden wichtig“, berichtet Yadack. Ebenfalls von Bedeutung: der Strom-Mix. Eine Präferenz für Grünstrom sei vor allem bei sehr jungen und älteren Kunden zu beobachten.
Die Regionalität, die „Marke Stadtwerke“, erweist sich jedoch beim Vergleich zwischen Stadtwerken, Grünstromanbietern und überregionalen Anbietern auch als ein entscheidendes Motiv. „Unser Modell muss die Regionalität daher auf jeden Fall zusätzlich berücksichtigen“, betont Yadack.
Regionalität ermöglicht höhere Strompreise
Ein Ergebnis der Simulation: Die Zahlungsbereitschaft der Kunden steigt bei regionalen Firmen. „Eigentlich sollte die Liberalisierung niedrigere Preise bewirken, aber der Effekt der Regionalität wirkt dagegen“, erläutert Yadack.
Diese regionalen Präferenzen haben auch Auswirkungen auf politische Entscheidungen und Marktstrukturen. So fördert zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) regionale Energieprojekte, oder ein kürzlich erlassenes Gesetz in Mecklenburg-Vorpommern besagt, dass ortsansässige Projektträger bevorzugt werden. „Das ist für die Akzeptanz von Projekten von großer Bedeutung“, betont Yadack.
Und für die Stadtwerke auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen stellen die Ergebnisse der Studie eine Chance dar, erklärt Yadack: „Stadtwerke haben eine Zukunft.“
Industriekunden könnten Stromnetz stabilisieren
Andere neue Möglichkeiten sehen die Forscher bei den Industriekunden: „Die Energiewende hat das Problem, dass bei Wind- und Solarenergie die Einspeisung nicht kontinuierlich erfolgt.“ Um das auszugleichen, heißt ein Zauberwort „Stromlastflexibilisierung“.
Yadack erläutert die Vorgehensweise: „Wenn etwa eine Zementmühle plant, Gestein zu mahlen, könnte sie damit ebenso gut erst fünf Minuten später starten – gegen einen finanziellen Ausgleich durch den Stromversorger. Dieser könnte so die Stromabnahme der Verfügbarkeit anpassen, um das Netz zu stabilisieren.“ Deutschlandweit liege ein Potenzial zur Flexibilisierung von 4–9 Gigawatt in der Industrie.
Auch Firmenkunden haben mehr Vertrauen zu Stadtwerken
Um diese Möglichkeiten auszuloten, führten die Forscher eine Umfrage unter Firmen in Baden-Württemberg durch. 40 Prozesse, vor allem bei den sogenannten Querschnitts-Technologien wie Gebäudelüftung und Heizung, die sich grundsätzlich für eine Flexibilisierung eignen würden, konnten auf diese Weise identifiziert werden.
Doch da gibt es ein Problem: Nicht die Technik und auch nicht die Höhe des Ausgleichs lassen die Firmen zögern, sondern ein Mangel an Akzeptanz. „Die Energiefirmen greifen dabei in den Produktionsablauf des Unternehmens ein – und dazu fehlt noch das Vertrauen.“
Das verschaffe wiederum den Stadtwerken einen Vorteil, schlussfolgert Yadack: „Einem regionalen Unternehmen bringen die Firmen wesentlich mehr Vertrauen entgegen – schließlich übergibt man die Kontrolle über die Produktion eher an jemanden, den man kennt.“
Mit über 190.000 Euro fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Projekt – was es an der Universität Hohenheim zu einen Schwergewicht der Forschung macht.
Link zur Projektseite: www.sw-agent.de
25.07.2016 | Quelle: Universität Hohenheim, Fachgebiet Volkswirtschaftslehre; Bild: Stadtwerke Pirmasens | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH