Interview mit Robert Habeck: Sektorenkopplung nicht nur für Experimente!

Die rot-grüne Landesregierung möchte schleswig-holsteinischen Unternehmen ermöglichen, den immer häufiger abgeregelten Windstrom – von Abgaben befreit – vor Ort zu speichern oder für Wärme und Mobilität zu gebrau­chen. Doch dies wird bislang von Bundesgesetzen verhindert. Bei der EEG-Novelle im Sommer hatte Schleswig-Holstein – angetrieben vom grünen Energieminister Robert Habeck – immerhin einen Teilerfolg erreicht: eine Verordnungsermächtigung für zuschaltbare Lasten und die so genannten „Experimentierklauseln“ für das EEG 2017 und das Energiewirtschaftsgesetz. Im engen Rahmen von SINTEC-Forschungsprojekten sollen für „überschüssige“ Strommengen Abgaben gesenkt werden, wenn der Strom gespeichert oder in andere Sektoren verschoben wird.

Solarthemen-Redakteur Guido Bröer sprach mit Minister Robert Habeck in Neumünster, wo die Stadtwerke einen nagelneuen Elektrokessel einmotten, weil Sektorenkopplung noch kein Geschäftsmodell ist.

Solarthemen: Die neue „Experimentierklausel“ beschreibt Sektorenkopplung als streng begrenzte Ausnahme. Abschaltung von Windkraftanlagen ist aber in manchen Gebieten Schleswig-Holsteins die Regel geworden. Hätten Sie gern auf das Wort „Experiment“ in der Gesetzgebung verzichtet?

Robert Habeck: Ja richtig. Wir hätten uns gewünscht, dass wir einen Mechanismus geschaffen hätten, dass Strom, der nicht von den Netzen aufgenommen wird, an der Börse gehandelt werden kann, statt ihn nicht zu produzieren, dafür aber zu vergüten und durch die EEG-Umlage zu finanzieren. Der Strom hätte dafür von Gebühren und Umlagen befreit werden sollen. Das hätte dazu geführt, dass Leute diesen Strom hätten verwenden können, die Strom zu Wasserstoff, Power-to-Heat oder allgemein Power-to-X machen wollen. Und wir hätten den nächsten Schritt der Energiewende einleiten können. Die Verbraucher wären entlastet worden, weil die EEG-Umlage um den Börsenstrompreis reduziert worden wäre. Das hat die Bundesregierung aber leider nicht gewollt. Die haben Angst, dass wir in 10 Jahren einen Subventionstatbestand an der Backe haben, den sie nicht mehr loswerden, weil einige sich daran gewöhnt haben, so günstig Strom einzukaufen. Ich halte das für völlig falsch, aus Angst in 10 Jahren Probleme zu bekommen, die Probleme der Gegenwart nicht zu lösen. Jetzt bekommen wir die Experimentierklausel. Die macht es komplizierter und kleiner. Das ist ein halber Schritt – man hätte einen ganzen gehen können.

Nächstes Thema: zuschaltbare Lasten. Vor wenigen Monaten erst haben Sie hier bei den Stadtwerken Neumünster einen Elektro-Dampfkessel für das Fernwärmenetz eingeweiht. Der könnte nicht abtransportierbaren Windstrom verbrauchen, wird nun aber nicht in Betrieb genommen, weil sich auf dem Regelenergiemarkt damit nicht mehr genug Geld verdienen lässt. Was kann man als Landespolitik tun, damit so was nicht passiert?

Wenig, außer Einfluss auf die Bundesregierung zu nehmen. Die Elektrokessel, die wir jetzt überall haben, sind eigentlich geeignet, als zuschaltbare Lasten zu dienen, also bewusst Strom, der günstiger ist als Kohle oder Gas, in den Wärmesektor zu geben – statt ihn über die EEG-Umlage zu bezahlen, obwohl er nicht produziert worden ist. Jetzt laufen diese Kessel wahrscheinlich nur als Lastsenke, wenn sie von Netzbetreibern zugeschaltet werden, um das Netz zu stabilisieren. Dafür gibt es dann auch eine Entschädigung. Aber faktisch wird zum Beispiel so ein Elektrokessel nicht bewusst und aktiv eingesetzt als Teil der Energiewende, sondern nur als Resterampe. Man kann auf der Bundesebene versuchen zu kämpfen, aber wir sind nur halb erfolgreich gewesen. Sonst kann man nur versuchen eine neue Bundesregierung zu stellen – das wäre so schlecht nicht.

Man kann nur mutmaßen, warum die Bundesregierung bei der EEG-Novelle beim Thema zuschaltbare Lasten und allgemein Sektorenkopplung so zögerlich bis abwehrend reagiert hat. Das war sehr bewusst, glaube ich. Es wird spekuliert, das Bundeswirtschaftsministerium wolle nicht den Druck vom Netzausbau nehmen, indem Strom, der aus Schleswig-Holstein nicht abtransportiert werden kann, einfach dort verbraucht wird.

Ich glaube das nicht. Die Sorge, die mir Staatssekretär Baake und Minister Gabriel genannt haben, war eher: Wir haben Sorge, einen Subventionstatbestand zu schaffen, den wir in zehn Jahren nicht wieder loswerden. Zum Beispiel könnte jemand einen großen Wasserstoffspeicher oder eine Batterie anschaffen und darauf pochen, dass er seine Kosten noch nicht amortisiert hat und nochmal 20 Jahre länger diesen günstigen Strom braucht, obwohl das Netz dann steht. Sie haben Sorge, da nicht mehr runter zu kommen. Aber ich denke, das ist wie Selbstmord aus Angst vor dem Feind. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wir könnten jetzt technologischen Fortschritt und eine Flexibilisierung für die Energiewende erzielen.

Sie haben hier im Norden viel günstigere Windbedingungen. Damit haben Sie viel niedrigere Stromkosten. Daraus kann sich spätestens nach Ausstieg aus Atom und Kohle ein extremes Nord-Süd-Gefälle der Energiepreise entwickeln. Ist das nicht ungerecht?

Ich begreife das nicht als ungerecht, weil ich die Energiewende als Solidarprojekt verstehe. Der Strom wird zwar dezentral produziert. Aber wir sollten nicht dezentral denken. Es macht keinen Sinn, die Energiewende entlang des Föderalismus zu diskutieren und Netzausbau oder Planungsprozesse entlang von solchen Grenzen zu betreiben. Noch nicht einmal nationale Grenzen machen da Sinn. Der Kontinent wäre eine gute Größe für die Energiewende. Aber es ist schon in dem Sinne ungerecht, dass diejenigen Länder, die ihre Hausaufgaben gemacht haben – inklusive Netzausbau, wie es mal vereinbart war nach dem Atomausstiegsbeschluss und der Klimaschutzgesetzgebung – dass diese Länder jetzt bestraft werden. Wir haben alles richtig gemacht, wenn ich das so sagen darf. Und wir sind jetzt diejenigen, die dafür die Zeche zahlen müssen, dass die anderen Länder und vor allem der Bund nicht in die Puschen gekommen sind. Der Langsamste bestimmt das Tempo beim Netzausbau. Das ist schon ärgerlich. Dann sollten sie uns wenigstens den Strom, der jetzt produziert wird, in die nächste Stufe der Energiewende geben. Nochmal: Zuschaltbare Lasten wäre die systematische Antwort.

Interview: Guido Bröer
Foto: Olaf Bethke / MELUR

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