Sven Teske: Nach dem Feuer – Erneuerbare in Australien

Portrait Dr. Sven TeskeFoto: Sven Teske
Dr. Sven Teske, Research Director am Institute for Sustainable Futures der University of Technology Sydney.
Dr. Sven Teske war fast zwei Jahrzehnte Energie-Campaigner bei Greenpeace in Hamburg, bevor er 2015 nach Australien ausgewandert ist. Er arbeitet dort als Wissenschaftler an der Technischen Universität Sydney. Für den Solarserver sprach Guido Bröer mit ihm über Buschfeuer und mögliche Chancen für erneuerbare Energien in Australien.
Solarserver: Buschfeuer in Australien waren über Wochen auch in deutschen Medien ein großes Thema. Erlebt Ihr es auch vor Ort, wo Buschfeuer nichts ungewöhnliches sind, als eine derartige Ausnahmekatastrophe?

Sven Teske: Buschfeuer sind DAS Thema seit Oktober, November. Da werden Debatten geführt über Feuerwehr, Klimawandel, Frustration über die Regierung. Es ist ein ständiges Thema und das war früher nicht so.

Viele unserer deutschen Leser kennen Dich noch aus Deinen vielen Jahren als Greenpeace-Campaigner in Hamburg. Seit fünf Jahren lebst Du in Australien. Was machst Du da?

Ich bin seit 2015 Research Director am Institut für Nachhaltige Zukunft an der Technischen Universität in Sydney. Ich erarbeite hier vor allem Konzepte für Erneuerbare Energien für Kommunen, für Inseln, für ganze Länder. Das ist im Prinzip die logische Fortsetzung der „Energy-Revolution”-Kampagne, die ich bei Greenpeace früher gemacht habe. Seit einem Jahr leite ich hier auch ein größeres Team, mit dem wir Energieszenarien hauptsächlich für Entwicklungsländer erstellen.

Wie wirken sich die Buschfeuer in Sydney auf Deinen Alltag aus, was bekommt Ihr in der Großstadt davon überhaupt mit?

Wir bekommen viel davon mit. Sydney hat ein sehr großes Einzugsgebiet. Viele meiner Kollegen wohnen relativ weit draußen, weil die Lebenshaltungskosten in der Stadt viel höher sind. Einige aus unserem Institut mussten zuhause bleiben, weil sie ihre Sachen für den Notfall packen mussten. Einige wurden auch evakuiert. Gottseidank hat keiner sein Haus verloren, aber bei Zweien ist der Brand buchstäblich auf der anderen Straßenseite stehen geblieben.
In der Stadt haben wir seit November Pekinger Verhältnisse. Normalerweise ist hier immer superfrische Luft. Aber jetzt hängt der Smog seit Monaten über Stadt.

An Radfahren und Sport ist nicht zu denken?

Ich bin ja Läufer. Ich trainiere für einen Wettkampf in zwei Wochen und hab’s deshalb trotzdem gemacht. Aber ich glaube, das war nicht gesund. Ich habe auch deutlich weniger trainiert als normal und an einigen Tagen ging es einfach gar nicht.

Wie spiegelt sich das gemeinsame Erleben dieser Feuer-Katastrophe in der öffentlichen Debatte in Australien zum Klimawandel und in Bezug auf Erneuerbare?

In der Bevölkerung gibt es seit vielen Jahren ein hohes Bewusstsein für den Klimawandel und auch einen weitgehenden Konsens dazu. Nur wenige Leute sagen, „Klimawandel gibts nicht”. Das liegt daran, dass Australien schon stark betroffen ist: Wir haben Coral Bleaching, also das Korallensterben im Great Barrier Reef, wir haben Trockenheit, wir haben Überflutungen – wir haben das ganze Programm.
Aber was sich in der Bevölkerung abspielt, reflektiert sich auf der Regierungsebene leider nicht. Denn die Regierung hält stark am alten Wirtschaftssystem fest. Außerdem sind die Medien von Rupert Murdoch dominiert, der leider nicht für Qualitätspublikationen bekannt ist.
Aber die Debatte hat sich jetzt geändert, weil auch die obersten Brandschützer und Feuerwehrchefs gesagt haben: „Das sind keine normalen Buschfeuer, das ist eine ganz neue Situation.”
Einer von ihnen, Shane Fitzsimmons – der ist in dritter Generation Feuerwehrmann – der hat ganz klar gesagt: „Das ist Klimawandel!”

Ist die öffentliche Diskussion in dieser Situation noch von Ohnmachtsgefühlen und Wut geprägt oder spricht man bereits konstruktiv über konkrete politische Veränderungen?

Das Parlament ist noch nicht zusammengetreten. Wir haben Sommerpause. Zwischen dem 1. Dezember und dem „Australien Day” am 26. Januar passiert hier eigentlich nichts. Im Februar gehts dann langsam wieder los und das Parlament tritt dann im März wieder zusammen. Aber wir haben in den wenigen Qualitätsmedien, die wir haben, jetzt eine Debatte. Gestern wurde die liberale Wissenschaftsministerin zitiert, die sagte: „Wir müssen jetzt aufhören, darüber zu debattieren, ob es einen Klimawandel gibt, sondern wir müssen darüber reden, was wir dagegen tun.” Und auch die Australien Science Academy, die sonst immer sehr zurückhaltend war, hat jetzt ganz klar gesagt: „Das ist Klimawandel.” Ich hoffe also, und bin sehr optimistisch, dass sich jetzt tatsächlich auch politisch was tut.

Wie weit ist denn die Energiewende in Australien?

Entgegen der Tatsache, dass es hier eigentlich keine langfristige und nachhaltige Politik zum Thema Energie gibt, läuft es eigentlich relativ gut. Ein Drittel aller australischen Haushalte haben eine Solaranlage auf dem Dach. Und nach der Zahl der laufenden Netzzugangsanträge haben wir hier 30 bis 40 Gigawatt an Solar- und Windprojekten in der Pipeline.

Wie hoch ist der aktuelle Anteil erneuerbarer Energien?

Wir haben drei Stromnetze, deshalb ist das etwas schwierig zu sagen. Im größten Netz, das die gesamte Ostküste abdeckt, haben wir etwa 10 bis 15 Prozent Erneuerbare. Insgesamt haben wir in Australien 60 Prozent Kohlestrom, und jeweils rund 20 Prozent Strom aus Gas und Erneuerbaren. Das durchschnittliche Kohlekraftwerk ist aber 40 Jahre alt und auch in diesem Jahr gehen wieder 2 große Kraftwerke vom Netz. Dabei ist klar, dass es aus wirtschaftlichen Gründen keine neuen Kohlekraftwerke geben wird.

Wir sind gezwungen, von Kohle wegzugehen. Atom ist kein Thema. Deshalb gibt es aktuell viele Anträge für Freiland-PV-Anlagen mit großen Batterien und auch wieder Projekte im Windsektor, der einige Jahre lang tot war. Aber es ist regional verschieden. Das Netz in Südaustralien, rund um Adelaide, das nur zwei schwache Verbindungen nach außen hat, transportiert immerhin 30 Prozent Windstrom.

Und im Outback, wo es oft keinen Netzanschluss gibt, da gibt’s nur zwei Möglichkeiten. Entweder haben die Leute noch Dieselgeneratoren oder – meist inzwischen – Solaranlagen.

Im deutschen Fernsehen liefen Bilder von Demonstrationen in Australien. Wird da nur Frust abgelassen oder sind es konstruktive Proteste, die klimapolitische Veränderung zum Ziel haben?

Es ist nicht besonders koordiniert. Es gibt hier leider keine richtig konstruktive Opposition. Die Grünen sind nicht sehr stark. Das liegt unter anderem an dem Mehrheitswahlrecht – ähnlich wie in Großbritannien und den USA. Die Umweltbewegung ist seit vier oder fünf Jahren darauf fokussiert, die geplante neue Kohlemine Adani zu verhindern. Ich sehe das ein bisschen kritisch. Zum einen, weil da nicht so viel voran geht, zum anderen verpasst die Umweltbewegung die Debatte um erneuerbare Energien vollständig. Es gibt von Seiten der Umweltverbände fast keine Kampagne für erneuerbare Energien. Die Umweltbewegung ist hier in den 1980er Jahren hängen geblieben – gegen alles aber für nichts. Das ist nicht so besonders hilfreich, wenn man erneuerbare Energien durchsetzen will.

Gibt es angesichts der aktuellen Debatte um die Feuer in Australien Aussicht auf Änderung mit Blick auf Erneuerbare?

Ich hoffe das, bin aber nicht davon überzeugt. Der Vorteil in Australien ist, dass die Erneuerbaren hier einfach wirtschaftlich sind. Deshalb werden sie auch ausgebaut. Und deshalb glaube ich auch, dass wir eine vernünftige Energiepolitik bekommen werden. Die wird aber nicht von der hiesigen Bundesregierung ausgehen, sondern von den Kommunen und einigen Regionalregierungen. Einige sind recht fortschrittlich. In Canberra, einem Stadtstaat ähnlich Berlin, ist der Energie- und Umweltsenator ein ehemaliger Greenpeace-Kollege. Dort läuft es gut, es gibt ein 100-Prozent-Erneuerbare-Ziel. Auch in der Region Victoria läuft einiges. In New South Wales, also der Region hier um Sydney, und in Queensland ist es sehr durchwachsen. Aber es gibt dort einige Kommunen, die sich für die Erneuerbaren stark engagieren.

Als Greenpeace-Campaigner hattest Du früher in Interviews immer Forderungen parat, als Wissenschaftler jetzt wohl eher Ratschläge – was sind Deine wichtigsten?

Erstmal brauchen wir klare Ziele. Australien hat zwar ein Treibhausgas-Emissionsziel für 2030, aber gar keinen Plan, wie man dort hin kommt.
Zum Zweiten brauchen wir eine klare Regelung, wie die Erneuerbaren den Zugang zum Stromnetz bekommen. Im Prinzip bräuchten wir eine Art EEG, das aber nicht die Vergütung, sondern nur den Netzzugang regeln müsste. Es gibt sehr viele große Solar- und Windparks, die Zugang zum Stromnetz beantragt haben. Der Antrag wird abgestempelt und dann passiert ewig nichts. Es gibt keinen vernünftigen Prozess dafür.

Mich erinnert das hier ein bisschen an die anfangs ungeregelten Verhältnisse bei der Offshore-Windenergie in Deutschland. Damals hat jeder Interessent prophylaktisch einfach mal einen Netzzugang beantragt, ohne dass irgendwas klar war. Auf diesem Level bewegt es sich insgesamt in Australien. Auf Bundesstaaten-Ebene gibt es teils unterschiedliche Verfahren. Das ist auch ein Problem für internationale Firmen, falls sie in Australien in erneuerbare Energien investieren wollen: Es ist ungeheuer schwierig zu durchblicken, nach welchen Regelungen man was beantragt – beziehungsweise, ob es überhaupt Regelungen gibt.

Sind Erneuerbare in Australien gleichbedeutend mit Strom? Was ist mit Verkehr und Wärme?

Verkehr ist ein großes Thema. E-Mobilität ist in Australien wesentlich positiver besetzt als in Deutschland. Australien hat ja keine Automobilindustrie. Stattdessen haben hier zwei große Batteriefabriken – von Tesla und von Sonnen. Es gibt ja hier auch Lithium. Als Tesla einen Elektro-Pickup angekündigt hat, hatte ich zunächst gehofft, dass da ein vernünftiges Fahrzeug für Australiens Landbevölkerung kommt. Stattdessen ist daraus leider eher ein martialischer Protzwagen für Marsianer geworden.

Prozesswärme ist in Australien ein großes Thema, Raumwärme nicht. Die Häuser haben hier keine Heizung. Es ist hier nur ein paar Wochen mal etwas kühler und für den Fall haben die Leute hier einen rollenden Elektroradiator. Aber der Baustandard ist schlecht, es gibt keine Doppelverglasung und auch sonst keine Isolierung.

Das ist eigentlich die dritte Forderung neben den schon erwähnten Einspeiseregeln und staatlichen Zielvorgaben. Wir brauchen eine verbindliche Effizienzverordnung speziell für die Klimatisierung. Und eine Strategie zur langfristigen Umstellung der Prozesswärme auf Strom oder erneuerbare Wärme.

Ein weiterer Punkt, der diskutiert wird, betrifft den möglichen Export von erneuerbaren Energien. Wir könnten regenerativ erzeugtes Flüssiggas exportieren. Aber dafür bräuchten wir ein Forschungsprogramm, das wir nicht haben.

Wie konkret sind diese Überlegungen?

Es gibt seit neuestem eine Energy Transition Plattform. Da wird diskutiert, dass Deutschland gern Wasserstoff-Technologie liefern will und dafür synthetische Gase zurückbekommen möchte. Ich finde das extrem sinnvoll. Wir haben hier im Windbereich doppelt so viele Vollaststunden wie in Deutschland und die Solareinstrahlung ist auch wesentlich höher. Wir hätten genug Möglichkeiten regenerativen Wasserstoff zu erzeugen. Das Problem ist, dass die Kohlelobby da reingrätscht, die lieber Wasserstoff aus Kohle erzeugen würde.

Wie wird es weitergehen? Jetzt kommt der Regen, die Buschbrände werden erlöschen. Wird Australien nach dem Feuer zur Tagesordnung übergehen, oder wird sich durch dieses Erlebnis strukturell – auch für Erneuerbare – etwas ändern?

Zur Tagesordnung können wir so schnell nicht übergehen. Zwar gehen die Brände langsam aus. Aber der Boden kann den Regen nicht aufnehmen. Der ist jetzt hart wie Beton. Der Regen gelangt also nicht ins Grundwasser, sondern fließt oberirdisch ab. Das Wasser fließt also in die großen Staudämme, aber da fließt ganz viel Asche mit hinein. Die muss ausgefiltert werden. Das bedeutet, wir könnten weiterhin Wasserrestriktionen haben, weil die Filteranlagen es nicht schaffen werden, die Asche so schnell rauszufiltern.

Man wird hier also nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können. Die Fläche, die hier verbrannt ist, entspricht einem Drittel der Fläche Deutschlands! Einige Gemeinden haben Angst, dass ihre Leute nicht zurück kommen. Manche haben jetzt zum zweiten oder dritten Mal ihr Haus verloren und einfach kein Geld mehr. Das Haus ist zwar versichert, aber nur so wie es vor dem Brand war – zum Beispiel als Holzhaus. Wenn aber jetzt die Zone, in der Du wohnst, zur Buschfeuer-Gefahrenzone erklärt wird, dann gibt es andere Baurichtlinien. Wenn Du Dein Haus neu bauen willst, dann kostet es zwei oder dreimal so viel. Du darfst dann zum Beispiel kein Holzhaus mehr bauen, sondern musst ein Steinhaus bauen. Viele Leute sind einfach ruiniert. Da wird es noch viele Dramen geben.

Dadurch wird auch viel Druck auf die Politik entstehen, vor allem in den ländlichen Regionen. Und ich hoffe doch sehr, dass dies endlich mal den Effekt hat, dass wir über Lösungen reden und bei den erneuerbaren Energien ankommen.

24.1.2020 | Solarthemen | solarserver.de
© EEM Energy & Environment Media GmbH

Das im vorigen Jahr von Sven Teske herausgegebene Buch, das dank einer Finanzierung durch die Leonardo Di Caprio Stiftung kostenlos im Internet zur Verfügung steht, wurde bereits mehr als 100.000 mal heruntergeladen.

Sven Teske (Hg.): Achieving the Paris Climate Agreement Goals. Global and Regional 100% Renewable Energy Scenarios with Non-energy GHG Pathways for +1.5°C and +2°C, Cham (Springer) 2019, ISBN. 978-3-030-05842-5.

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