Frithjof Staiß: Die Vision Wasserstoff wird Realität

Foto: ZSW
Frithof Staiß, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des ZSW
Der Wirtschaftsingenieur Prof. Dr. Frithjof Staiß ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg und Leiter des Geschäftsbereich Energiepolitik und Energieträger. Neben weiteren Funktionen gehört er auch der unabhängigen Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ der Bundesregierung an.

Solarthemen: Solarer Wasserstoff war bereits in den 80er Jahren ein Thema. Es gab zu dieser Zeit bereits erste Projektansätze, um zum Beispiel Wasserstoff mit kanadischer Wasserkraft zu gewinnen und in Hamburg zu verstromen. Das hat aber über Jahr­zehn­te keine so große Dynamik entfaltet. Warum kann das jetzt anders sein?

Frithjof Staiß: Als ich in den 80er Jahren zum neu gegründeten Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg kam, war eine regenerative Wasserstoffwirtschaft für mich eine sehr attraktive Vision einer zukünftigen Energiewelt, für die ich mich engagieren wollte. Das ist auch heute noch so. Damals waren die Folgen der zweiten Ölpreiskrise und das Reaktorunglück von Tschernobyl sehr präsent und die ersten Wasserstoffprojekte wurden realisiert. In den über 30 Jahren, in denen wir uns am ZSW mit Wasserstoff befassen, konnten wir viele wertvolle Erfahrungen gewinnen. Wir mussten aber auch lernen, dass die Dinge Zeit benötigen. Erfreulicherweise wurde die Entwicklungsdynamik stetig höher.

Wir haben klein angefangen und wurden von manchen durchaus belächelt. Das galt für die erneuerbaren Energien ebenso wie für den solaren Wasserstoff. Doch dann gelang es in den 90er Jahren, die Windenergienutzung in die Wirtschaftlichkeit hineinzuführen und mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz vom Jahr 2000 auch die Photovoltaik. Das EEG war dabei weltweit ein ganz wichtiges Signal. In den vergangenen zehn Jahren lag dann ein Schwerpunkt auf der Systemintegration. Und die 20er Jahre werden die Dekade sein, um den Wasserstoff und die regenerativstrombasierten Kohlenwasserstoffe in die Wirtschaftlichkeit zu führen.

Dynamische Entwicklung

Sie beschreiben eine kontinuierliche Entwicklung. Aktuell scheint Wasserstoff im politischen Raum wichtig zu werden, sowohl bundesweit mit der Wasserstoffstrategie als auch auf europäische Ebene. Was macht den Unterschied aus?

Was heute grundlegend anders ist gegenüber den Wasserstoff-Euphorien der Vergangenheit, die wir beide erlebt haben, ist einerseits, dass wir nachgewiesen haben, dass diese Vision nicht nur technologisch, sondern auch wirtschaftlich eine realistische Option darstellt. Die Klimaneutralität bis spätestens 2050 ist erreichbar. Und zweitens: Eine neue Qualität ergibt sich aus der Möglichkeit, das dafür notwendige privatwirtschaftliche Kapital zu mobilisieren. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Impulse aus öffentlichen Mitteln erhalten. Diese können aber tatsächlich immer nur ein erster Impuls sein. „Fliegen“ müssen neue Entwicklungen letztlich über das Engagement der Privatwirtschaft. Dazu ein Beispiel: Die Institutional Investors Group on Climate Change ist ein Zusammenschluss von mehr als 200 Unternehmen, Die verwalten ein Vermögen von mehr als 30 Billionen Euro. Diese Gruppe hat sehr deutlich ihre Bereitschaft erklärt, etwa in den Green Deal der Europäischen Union zu investieren. Wenn die Politik entsprechende Rahmenbedingungen setzt, die die Investoren für ein langjähriges Engagement brauchen.

Die Einsatzgebiete

Wo sehen Sie denn die wesentlichen Einsatzgebiete für den Wasserstoff?

Im Vordergrund steht sicherlich die energieintensive Grundstoffindustrie, die durch sehr langfristige und kapitalintensive Investitionen charakterisiert ist. Hier besteht in den nächsten Jahren ein erheblicher Reinvestitionsbedarf. Wenn zum Beispiel ein Hochofen oder Steamcracker ersetzt wird, dann wollen die Unternehmen ihn über 50 oder mehr Jahre betreiben. Wenn also in fossile Anlagen reinvestiert wird, haben wir für die nächsten Dekaden einen Lock-in-Effekt, also eine Festlegung auf Technologien, die mit der Klimaneutralität nicht vereinbar sind. Deswegen ist es jetzt wichtig, in nachhaltige Technologien zu investieren. Die thyssenkrupp Steel in Duisburg speist etwa schon in Teilen Wasserstoff in den Hochofenprozess ein. Und die BASF will ausschließlich klimaneutral wachsen. Auch die Raffinerien stellen sehr konkrete Investitionsüberlegungen an.

Grüner versus blauer Wasserstoff

Wo stehen wir denn technologisch beim regenerativ erzeugten Wasserstoff? Hat er eine Chance gegenüber dem aus Erdgas gewonnenen, sich wirtschaftlich durchzusetzen?

Eine Chance bietet er ja nicht nur für die Industrie, sondern auch für das Stromsegment und den Verkehr. Als sogenanntes grünes eKerosin für den Luftverkehr, als eDiesel oder eH2 in Verbindung mit Brennstoffzellen für den Schwerlastverkehr, für Busse oder den nicht elektrifizierten Bahnverkehr und ggf. auch im Pkw. Bei der Wettbewerbssituation mit dem erdgasbasierten, klimaneutralen „blauen“ Wasserstoff muss man im Blick behalten, was nachhaltig ist. Für mich ist nach den Erfahrungen, die wir mit CCS, also der CO2-Abscheidung und -Speicherung, sammeln konnten, diese Option im großen Stil nicht nachhaltig.

Dennoch könnte blauer Wasserstoff eine Übergangslösung sein, weil wir auch ein Zeitproblem haben. Denn wir müssen möglichst schnell und substanziell mit den Treibhausgasemissionen runter. Und werden nicht von heute auf morgen weltweit eine komplett regenerativ-basierte Wasserstoffwirtschaft aufbauen können. Entscheidend ist deshalb wiederum, dass man keine Lock-in-Effekte erzeugt, indem man Infrastrukturen für Konzepte aufbaut, die sich später nicht ohne weiteres oder auch gar nicht auf regenerative Lösungen umstellen lassen.

Marktreife von Wasserstoff

Einerseits haben wir schon eine lange Geschichte mit dem solaren Wasserstoff. Andererseits, das haben wir auch bei der Photovoltaik gesehen, entwickeln sich Technologien erst dann richtig, wenn sie einen echten Marktzugang haben. Was ist aus Ihrer Sicht an Entwicklungsarbeit noch erforderlich, damit regenerativer Wasserstoff im Konkurrenzumfeld eine größere Rolle spielen kann?

Hier müssen meiner Meinung nach verschiedene Ebenen betrachtet werden. Vorrangig ist die Skalierung. Das, was heute in Labors und Demonstrationsprojekten wie den Reallaboren läuft, müssen wir in eine energiewirtschaftlich relevante Skalierung bringen. Deshalb ist es nach der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung auch richtig, dass bis 2030 bis zu 5.000 Megawatt Elektrolyseleistung errichtet werden sollen. Auf der EU-Ebene sind sogar 40.000 Megawatt geplant. Also Skalierung, Skalierung, Skalierung! Aber das kann man nicht einfach so dahersagen. Dafür müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Wir ha­ben im Moment Elektrolyseure, die sich im einstelligen Megawattbereich bewegen. Man kann natürlich 50 Elektrolyseure mit je 2 Megawatt nebeneinanderstellen und so auf 100 Megawatt kommen. Das ist aber aufgrund der zu hohen Kosten und der Systemkomplexität nicht sinnvoll.

Was man in der Forschung und Entwicklung braucht, ist eine Skalierung zu höheren Leistungseinheiten, zu höheren Leistungsdichten und zu geringeren Systemkosten. Weiterhin wird es entscheidend sein, möglichst rasch eine Industrialisierung im weiteren Sinne zu erreichen. Denn Komponenten müssen auch hergestellt werden und dafür sind adäquate Produktionsverfahren erforderlich. Nehmen Sie beispielsweise die Brennstoffzellen, die auch ein wichtiges Element der Was­ser­stoffenergiewirtschaft sind. Für ei­nen Brennstoffzellenstack, etwa für einen Bus, muss man Hunderte von Einzelelementen übereinander stapeln und zwar sehr präzise und eben­so schnell. Das ist auch für die Unternehmen etwas Neues. Deswegen ha­ben wir am ZSW mit vielen Unter­nehmen sowohl auf der Elektrolyseseite als auch auf der Brennstoffzellenseite entsprechende Verbundpro­jekte gestartet.

Praxis, Praxis, Praxis!

Was ist außerdem wichtig?

Über die notwendige weitere Forschung, Entwicklung und Demonstration hinaus: Praxis, Praxis, Praxis! Denn am Ende ergeben sich die wirklichen Probleme immer in der Praxis, z. B. mit dem Genehmigungsrecht und den Genehmigungsprozessen. Wir haben schon Elektrolyseure aufgebaut und stellen – genauso wie bei den Windprojekten – fest, dass die Verfahren sehr aufwändig sind und Jahre dauern können. Jetzt sollte unbedingt geprüft werden, was beschleunigt, vereinfacht oder angepasst werden kann. Auch könnte man den Genehmigungsbehörden mehr an die Hand geben. Das könnte zum Beispiel über die Gründung von Kompetenzzentren bei den Regierungspräsidien erfolgen, damit die Umsetzung von Vorhaben reibungsloser, schneller und dennoch klagefest funktioniert.

Sie haben angesprochen, dass jede technologische Entwicklung von den Rahmenbedingungen abhängt. Wie zufrieden sind Sie mit den Beschlüssen in Berlin und jetzt auch in Brüssel?

Ich glaube, dass beide Wasserstoffstrategien durchaus in die richtige Richtung gehen ebenso wie viele weitere Maßnahmen. Ich bezweifele aber, dass alles schon ausreichend ist. Ein Beispiel ist das Brennstoffemissionshandelsgesetz mit der Pönalisierung von CO2-Emissionen. Hier müssen wir erst se­hen, wie es in der Praxis wirkt und even­tuell nachschärfen. Auch die Initiative zur Abschaffung der EEG-Umlage für die Herstellung von Elektrolyse-Wasserstoff ist ein guter Ansatz, der aber erst wirken muss.

Was fehlt Ihnen noch?

Wir brauchen in Deutschland vor allem eine ambitionierte Umsetzung der europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie mit den Unterquoten für die Erneuerbaren im Verkehrsbereich. Das betrifft vor allen Dingen den Wasserstoff und die flüssigen, regenerativ erzeugten synthetischen Energieträger.

16.7.2020 | Interview: Andreas Witt, Solarthemen | solarserver.de
© Solarthemen Media GmbH

Beliebte Artikel

Schließen