Größte Solarthermieanlage Deutschlands in Greifswald eingeweiht

Blaues Kollektorfeld der größten Solarthermieanlage Deutschlands in GreifswaldFoto: Guido Bröer
Ein Kollektorfeld dieser Dimension gibt es bislang nur einmal in Deutschland.
Am 15. September haben die Stadtwerke Greifswald ihre 18.700 Quadratmeter große Solarwärmeanlage für die Fernwärme feierlich in Betrieb genommen. Es ist die größte Solarthermieanlage in Deutschland.

Als Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner, der Greifswalder Oberbürgermeister Stefan Fassbinder und Stadtwerke-Chef Thomas Prauße am Donnerstag gemeinsam auf den Roten Knopf drückten, um den Regelbetrieb zu starten, da hatte die Anlage bereits manche Megawattstunde im 6-wöchigen Testbetrieb erzeugt. An den schönen Sommertagen konnte die größte Solarthermieanlage Deutschlands zeitweilig bereits die gesamte Leistung liefern, die das Netz benötigt hat, und mitunter sogar etwas mehr. Überschüsse gehen in solchen Fällen in die vorhandenen Wärmespeicher am benachbarten Heizkraftwerk.

3 bis 4 Prozent Fernwärme aus Solarthermie

Der Bereichsleiter Erzeugung der Stadtwerke Greifswald, Robert Kauert, erklärte den Einweihungsgästen am Beispiel eines sonnigen Augusttages, dem 2. August 2022, die typische Ertragskurve der Solaranlage. An diesem Tag mit solarem Bilderbuchwetter haben die Kollektoren 65 Megawattstunden geerntet. Übers Jahr erwarten die Stadtwerke einen Energieertrag der Solarthermieanlage von etwa acht Gigawattstunden, was gemessen an der gesamten Fernwärmeeinspeisung der Stadtwerke einen Anteil von 3 bis 4 Prozent ausmachen wird.

Günstig für den Einsatz der Solarthermie in Greifswald ist, dass es hier verfügbare Flächen unmittelbar neben dem Heizkraftwerk gibt. Zum Teil gehören sie einer Stiftung, die der Nachhaltigkeit verpflichtet ist. Sie freut sich nun über die Pachteinnahmen von den Stadtwerken. Die Stadt hat die Flächen über einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan für die Solarnutzung zugänglich gemacht.

Obwohl der Anstoß zum Klimaschutz bei den Stadtwerken von der Kommune kam und die Flächenkonstellation am Standort vergleichsweise günstig ist, zog sich das gesamte Genehmigungsverfahren über 30 Monate. Einen deutlichen Anteil hatten daran die natur- und artenschutz-rechtlichen Prüfungen. Einige Knackpunkte ließen sich durch Naturschutzauflagen professionell lösen. Beispielsweise haben die Stadtwerke Ausweichhabitate für Zauneidechsen angelegt.

iKWK-Förderung für Solarthermie & Co.

Doch die Zeit war knapp. Denn als Fördermodell für die Anlage hatten sich die Stadtwerke für die seinerzeit neu vom Bund im KWK-Gesetz eingeführten iKWK-Ausschreibungen entschieden. Das Kürzel steht für „innovative Kraft-Wärme-Kopplung“. Die Solarthermieanlage wird dabei mit einem Elektrodenkessel und einem klassischen Blockheizkraftwerk zu einer Steuerungseinheit zusammengefasst. Das Greifswader iKWK-Projekt erhielt in der ersten Ausschreibungsrunde im Dezember 2017 einen Zuschlag. Seitdem tickte die Uhr. Denn für iKWK-Projekte sieht der Gesetzgeber vom Zeitpunkt des Zuschlags aus gerechnet eine Realisierungszeit von vier Jahren vor. Ansonsten verfällt die Förderberechtigung für den gesamten iKWK-Anlagenpark.

Stadtwerke-Geschäftsführer Thomas Prauße runzelt auf dem Podium die Stirn, fixiert im Publikum die bundes-, landes- und kommunalpolitischen Entscheidungsträger und sagt: „Bei 48 Monaten Umsetzungsfrist sind 30 Monate für das Genehmigungsverfahren kritisch.“ Seine Botschaft war klar: Genehmigungen müssen gerade auch mit Blick auf die klima- und energiepolitischen Notwendigkeiten schneller gehen.

Corona brachte den Zeitplan durcheinander

Zumal das Greifswalder Projekt dann von der Genehmigungs- in die Corona-Phase schlitterte. Gewissermaßen als Corona-Denkmal schlummerte das vom Hersteller Ritter Energie- und Umwelttechnik bereits vor etwa einem Dreivierteljahr errichtete Kollektorfeld monatelang unter reflektierenden Gewebefolien und wartete so auf seine Inbetriebnahme. Unter anderem habe die Corona-Pandemie zu Lieferverzögerungen bei der Steuerungstechnik geführt, erinnert sich Robert Kauert.

Ende gut, alles gut, könnte man meinen: Denn die drei Komponenten der iKWK-Anlage sind ja nun betriebsbereit und funktionieren. Doch was in der Praxis noch nicht läuft, ist die als Teil des iKWK-Projektes geförderte 5-MW-Power-to-Heat-Anlage. In der Theorie soll der Elektrokessel vor allem Windstrom aus der Region zu Wärme machen, wenn der ansonsten abgeregelt würde. Oft genug stehen hier in Vorpommern Windräder trotz kräftiger Brise still. Gründe sind, dass der Strom wegen Leitungsengpässen nicht abtransportiert werden kann oder dass an der Börse aufgrund durchlaufender Braunkohle und Atomkraftwerke negative Preise drohen.

Nutzen statt abregeln gilt noch nicht

Doch das regional interessante Geschäftsmodell „nutzen statt abregeln“ scheitert bislang am fehlenden bundesgesetzlichen Rahmen. Thomas Prauße erklärte, welchen Verlust das konkret bedeutet: „Wenn ich die 5-Megawatt-Power-to-Heat-Anlage fahren könnte, dann könnte ich weitere 15 Prozent Wärme regenerativ erzeugen.“ Praußes Appell an die Politik: „Wir müssen den Mut haben, zuende zu denken!“. Sowohl Ministerpräsidentin Schwesig als auch Staatssekretär Kellner vom BMWK nickten wissend und machten in ihren Grußworten deutlich, dass Prauße sie beim Thema „nutzen statt abregeln“ auf seiner Seite hat.

Spätestens wenn der geplante weitere Großwärmespeicher mit 6000 Kubikmetern Speichervolumen im Jahr 2024 fertig sein wird, hofft der Stadtwerkechef, dass auch der Elektrodenkessel zum Einsatz kommen kann. Bis dahin sollen 35 Prozent der Fernwärme in Greifswald erneuerbar sein.

17.9.2022 | Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

Weitere Informationen zu Solarthermie in der Fernwärme finden sich
– auf der Website www.solare-waermenetze.de und
– in einem Hintergrundartikel auf dem Solarserver sowie
– in einem Solarthemen-Artikel zum neuen Förderprogramm BEW für erneuerbare und effiziiente Fernwärme

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