Timo Leukefeld zu Baugesetzen: Kosten runter für den Klimaschutz

Auf ein Geländer aufgestützt lächelt Timo Leukefeld im Jacket mit weißem Hemd und offenem Kragen in die Kamera. Im Hintergrund Glas.Foto: Stefan Mays
Prof. Timo Leukefeld
Prof. Timo Leukefeld im Interview: Der ehemalige Heizungsbauer lehrt als Honorarprofessor an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg und an der BA Glauchau das Thema vernetzte energieautarke Gebäude. Die Solarthemen sprachen mit ihm über den Konflikt zwischen gesetzlichen Vorgaben und der baulichen Praxis.

Solarthemen: Welche Impulse kann die Gesetzgebung, insbesondere das Gebäudeenergiegesetz, auf sinnvolles Bauen aus Ihrer Sicht nehmen?

Timo Leukefeld: Es ist wichtig, dass der Gesetzgeber einen Rahmen aufspannt. Das Problem ist aber, dass oft vor allem theoretische Wissenschaftler die Ministerien beraten. Die haben meist noch nie selbst ein Haus gebaut und noch nie eine Heizung installiert. Im Gegensatz dazu bin ich in einer Försterei aufgewachsen, wo ich integrales Denken lernte, was auf Zusammenhangswissen beruht, und habe nach meiner Handwerkerausbildung zehn Jahre als Heizungsbauer gearbeitet.

Ich sehe es kritisch, wenn zu theoretische Lösungen erarbeitet werden, die in der Praxis so gar nicht umsetzbar sind. Und natürlich kann der Wunsch der Bundespolitik, eine Lösung, die für alles geht, in der Praxis nie funktionieren. Zwar kann man im Neubau, wie in finde, schon Regeln stringent vorgeben. Aber im Altbau hat jedes Gebäude andere Randbedingungen. Die Bauherren haben ein unterschiedliches Budget zur Verfügung und sind älter oder jünger. Der Bestand braucht also individuelle Lösungen, es sind immer Einzelfallentscheidungen, welche im Gegensatz zu festen Regeln stehen.

Leukefeld: Nicht allein auf Gebäudehülle fokussieren

Solarthemen: Was macht dann der Gesetzgeber? Der muss weg vom CO2. Wie kann er im Altbau zur notwendigen Wärmewende kommen?

Timo Leukefeld: Im ersten Schritt muss man die Gesetzgebung und insbesondere auch die Fördermittelpraxis analysieren, um zu hinterfragen, was das gebracht hat. Das Ergebnis ist sehr ernüchternd oder sogar erschütternd. Der Bund hat sich immer auf die Gebäudehülle fokussiert und entsprechende Standards wie KfW 55 und KfW 40 eingefordert. Wir allerdings haben uns das etwas genauer angesehen. Was haben wir denn bei diesen Standards für CO2-Emissionen? Und was haben wir für Energiekosten? Denn wir wollen ja beides: den CO2-Ausstoß verringern und die Energiekosten für die Bewohner erträglich machen.

Wenn wir nun einen typischen Mehrfamilienhaus-Neubau mit KfW-55-Standard betrachten, dann gehen dort etwa 20 Prozent der Energiekosten einer Familie in die Heizung, 10 Prozent ins Warmwasser, knapp 30 Prozent in den Haushaltsstrom und rund 40 Prozent ins Autofahren. Und das spiegelt in etwa auch den CO2-Ausstoß wider. Wenn wir nun so weitermachen wie bisher im GEG und bei der KfW-Förderung, dann haben wir nur Einfluss auf diese 20 Prozent bei der Heizung. Da können wir zwar noch etwas absenken, aber drei Viertel der CO2-Emissionen und der Energiekosten der Menschen bleiben unberührt. Wenn wir nun Richtung Effizienzhaus 40 gehen, dann reduzieren wir kaum CO2– Ausstoß und Energiekosten.

Effizienzhaus-55-Standard reicht

Solarthemen: Was wäre denn dann aus Ihrer Sicht ein anderer Weg für das GEG?

Timo Leukefeld: Man kann aufhören, beim Neubau die Hülle weiter verbessern zu wollen. Kostet viel, bringt fast nichts. Bei abnehmendem Grenznutzen ist die eingesparte Kilowattstunde viel teurer als die erzeugte. Ich würde das umdrehen. Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, wie ich das damals in unserer Försterei von Kindheit an schon gelernt habe. Beim Wohnen dürfen wir also nicht nur aufs Heizen schau­en. Warmwasser, Haushaltsstrom und auch Mobilität gehören dazu. Der Effizienzhaus-55-Standard reicht aus. Und jetzt geht es um eine aktive Erzeugung von Energie am Gebäude. Das muss in die Architektur, in den Denkmalschutz und in die Bebauungspläne hineinwirken. Das ist eine Kulturrevolution im Baubereich. Da geht es zum Beispiel um Pultdächer anstelle von Flachdächern, weil ich auf denen mehr Solartechnik unterbringen kann. Und es geht um die Fassaden, auf die die flache Sonne treffen kann; die werden in Zukunft viel bedeutsamer. Die Form folgt in Zukunft der Energie.

Die Sonne in den Mittelpunkt stellen

Solarthemen: Ihre Forderung?

Timo Leukefeld: Gesetzgeber, bitte mach heute Schluss damit, im Neubau die Gebäudehülle noch mehr zu verbessern, und richte dich auf die aktive Energieerzeugung aus. Das ist die Solarnutzung und dort, wo das nicht geht, oder in sanierten Altbaustrukturen kann es auch mit Nahwärmenetzen gehen. Im Neubau geht es ganz klar darum, die Sonne in den Mittelpunkt zu stellen. Mit der kann ich zwar auch bei der Heizung nicht mehr so viel ausrichten – ausgehend vom Effizienzhaus 55. Aber ich kann bei einer durchschnittlichen Familie bis zu 70 Prozent beim Warmwasser, beim Haushaltsstrom und beim Laden des E-Autos einsparen. Damit würde ich in der Gesamtbilanz sehr viel CO2 einsparen und könnte deren Energiekosten deutlich herunterdrücken.

Solarthemen: Wie sprechen hier wohl vor allem über die PV. Ist die nicht Standard?

Timo Leukefeld: Nein, denn im Mietwohnungsbau wird wenig mit Photovoltaik gearbeitet, weil man in der Regel den Strom nicht so einfach an die Mieter weitergeben kann. Das Mieterstrommodell ist viel zu bürokratisch und eigentlich so kons­truiert, dass es sich gerade nicht durchsetzt. Und es wird weiterhin falsch gemacht. Die Energiegesetzgebung geht einschließlich GEG und Förderung nicht in diese Richtung, wo wir die Sonne viel besser nutzen könnten, und man versucht sich weiterhin nur in der Optimierung der Hülle und der Beschränkung von fossilen Brennstoffen.

Leukefeld: Bei schwierigen Altbauten erst die Photovoltaik nutzen

Solarthemen: Ich bin gespannt, ob Sie hier auch Lösungsvorschläge haben. Aber schauen wir zunächst auf den Gebäudebestand.

Timo Leukefeld: Ja, der ist schwierig. Und ich weigere mich auch, hier nur die eine Lösung für alles zu finden. Zunächst plädiere ich dafür, das wieder ganzheitlich zu betrachten. Nehmen wir als ein Beispiel ein Einfamilienhaus aus den 50er- Jahren. Die Eigentümer sind schon älter und haben auch eine alte Öl- oder Gasheizung. Wenn wir dort aber nur auf die Heizung schauen, verzerrt es das Bild und führt zu falschen Entscheidungen. Wir sehen uns wieder den ganzen Kuchen an. Auch dort ist mit Warmwasser, Haushaltsstrom und Mobilität die Heizung wieder nicht die dominierende CO2-Quelle. Wenn die Bewohner ein begrenztes Budget haben, dann ist schon der Einbau einer Wärmepumpe viel zu teuer. Und die Heizkosten würden in diesem ungeeigneten Gebäude sogar noch ansteigen.

Man müsste es energetisch komplett sanieren, also unter anderem die Heizkörper und die Gebäudehülle. Das lässt sich von diesen Menschen mit etwa 120.000 Euro Gesamtkosten kaum finanzieren. Momentan lautet hier mein Rat, erst mal am Heizkessel gar nichts zu machen und etwas abzuwarten. Man kann aber direkt prüfen, ob eine PV-Anlage installiert werden kann. Ich spare dann bis zu 70 Prozent beim Warmwasser, Haushalts­strom und E-Auto-Laden. Das ist ein geringinvasiver Eingriff für rund 30.000 Euro, der viel CO2 reduzieren kann.

Leukefeld: 70 Prozent des Gebäudebestandes ist wirtschaftlich nicht zu helfen

Solarthemen: Und was passiert, wenn das Dach nicht für Solarenergie geeignet ist?

Timo Leukefeld: Dann kann das zu gestrandetem Anlagevermögen führen. Von diesem Begriff haben wir im Zukunftsinstitut schon vor vier Jahren geredet. Im Prinzip bedeutet das im schlechtesten Fall den totalen Wertverlust. Dafür spielen viele Faktoren eine Rolle, auch die CO2-Steuer, die künftig bei den schlechten Gebäuden die Vermieter zu tragen haben. Und bei den stark steigenden Nebenkosten für die Mieter kommt es auch zu Mietausfällen.

Die Vermieter können auch die enorm wachsenden Handwerkerkosten kaum aufbringen. Für Wohnungsbaugesellschaften ha­ben wir den Markt analysiert. 30 Prozent der Wohnungen könnten wir mit hochgradig energieautarken Sanierungen, wie wir das in Aschersleben an ei­ner alten DDR-Platte zeigen, topfit machen. Aber 70 Prozent des Gebäudebestands ist, so bitter das klingt, wohl nicht mehr wirtschaftlich zu helfen.

Solarthemen: Und wie lauten nun Ihre Vorschläge?

Timo Leukefeld: Das Ziel sind bei den Neubauten und in der Sanierung CO2-Steuer-freie Gebäude. Im Blick haben müssen wir zudem die Handwerkerkosten. Die Heizungsbaubetriebe nehmen drastisch ab, es wird sehr knapp. Und aus den Großstädten bekommen wir jetzt schon Rechnungen, die zwischen 140 und 160 Euro die Stunde liegen. Gleichzeitig gibt es die Tendenz, dass die Gebäude auch bei Sanierungen und im Neubau immer mehr mit Technik vollgestopft werden.

Das ist auch ein Ergebnis der Förderprogramme. In der Kombination aus viel Technik, die nicht so lange hält, und sehr hohen Handwerkerstundensätzen explodieren die Instandhaltungskosten. Die Wartungs- und Reparaturkosten für die Haustechnik übersteigen in Zukunft im Neubau und bei der Sanierung mit hoher Wahrscheinlichkeit die eingesparten Energiekosten. Diese heftige These können wir auch belegen.

Langlebige Lösungen mit weniger Technik wählen

Solarthemen: Wo ist da der Ausweg?

Timo Leukefeld: Weniger Technik, die einfacher und langlebiger ist und die die Nutzer leichter bedienen können. Das ist die zweite Ebene neben CO2-Steuer-freien Energieträgern. Damit kommen wir dann im Neubau schnell zu Infrarotheizungen: Kabel statt Rohre. Wesentlich geringere Investitionskosten für länger haltende und wartungsfreie Technik. Die Kosteneinsparung im Vergleich zum Beispiel mit der Wärmepumpe packen wir in die PV und den Akku.

Solarthemen: Gibt es dafür ein Geschäftsmodell?

Timo Leukefeld: Als Geschäftsmodell präferieren wir, wenn wir beim Effizienzhaus 55 sind – egal ob Neu- oder Altbau –, die Pauschaltmiete mit Energieflatrate für Heizen, Warmwasser und Strom. Das funktioniert ab einem solaren Deckungsgrad von 50 Prozent. Wir liegen hier bei Gesamtenergiekosten von 30 bis 100 Euro pro Monat je Wohnung und verzichten auf die Betriebskosten- und Einzelstromkostenabrechnung, was ebenfalls Kosten spart.

So kommt der Vermieter zu guten Einnahmen und die Mieter sind zufrieden, wie aktuelle Beispiele belegen. Voraussetzung für den Neubau sind B-Pläne, die sich nach der Sonne richten. Auch 30 Prozent des Bestands könnten wir so sanieren und über die Vernetzung mit in der Nähe liegenden weniger geeigneten Gebäuden auf eine Sanierungsquote von 40 bis 45 Prozent kommen. Doch von der Regierung wird das gar nicht gehört.

21.4.2023 | Autor: Andreas Witt
© Solarthemen Media GmbH

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