Stabilität aus dem Verteilnetz: Stromrichter sollen träge Massen ersetzen

Eine Animation zeigt Windenergie, Photovoltaik und Stromnetze - Symbolbild für Netzausbau, NetzeingriffeFoto: Eisenhans / stock.adobe.com
Die Trägheit der rotierenden Massen in Großkraftwerken liefert heute die sogenannte Momentanreserve im Netz. Künftig sollen die Stromrichter von Batterien, PV- und Windenergie-Anlagen diese Aufgabe übernehmen. Ein neues Forschungsprojekt untersucht die Möglichkeiten.

Im Projekt Verteilnetz2030plus arbeiten das Fraunhofer IEE aus Kassel mit der TU Braunschweig, dem Wechselrichter-Hersteller SMA Solar Technology AG und weiteren Partnern zusammen. Sie wollen herausfinden, wie Stromrichter im Verteilnetz das System stabilsieren können, wenn es keine Atom- und Kohlekraftwerke mehr gibt.

„In der alten Energiewelt sorgen vor allem die rotierenden Massen der an das Übertragungsnetz angeschlossenen Großkraftwerke für die nötige Stabilität“, sagt Philipp Strauß, stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE. Die Trägheit der riesigen Massen wirkt automatisch stabilisierend – ganz ohne explizite Ansteuerung. Gehen die Großmeiler vom Netz, muss diese sogenannte Momentanreserve anderweitig erbracht werden. „Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien sind hingegen in Zukunft vor allem netzbildende Stromrichter dezentraler Erzeugungsanlagen im Verteilnetz gefordert, diese Rolle zu übernehmen“, so Strauß.

„In unserem Forschungsprojekt untersuchen wir, wie Stromrichter diese für die Versorgungssicherheit so wichtige Aufgabe optimal wahrnehmen können“, erklärt Professor Bernd Engel von der TU Braunschweig. In dem Forschungsprojekt wollen die Partner Instrumente für die dynamische Simulation und Analyse von Verteilnetzen erstellen sowie die Entwicklung netzbildender Stromrichter voranbringen. Darüber hinaus bereiten sie Feldtests vor, die später in einem Anschlussprojekt umgesetzt werden sollen.

Stromrichter können Wechselwirkungen im Verteilnetz verursachen

Die trägen Massen zu ersetzen ist eine komplexe Aufgabe, denn es kann dynamische Wechselwirkungen geben: zwischen den verschiedenen Stromrichtern, mit der Schutztechnik und mit den Betriebsmitteln im Verteilnetz.

Ein Schwerpunkt des Projektes liege darauf, die bislang verfolgten Konzepte zum Schutz der Verteilnetze mit Blick auf die zunehmende Installation von netzbildenden Stromrichtern zu prüfen. Das ist notwendig, weil diese Komponenten eine deutlich geringere Toleranz gegenüber Überlastströmen hätten als Synchrongeneratoren. Somit besteht das Risiko, dass weniger gut zwischen Kurzschlüssen und Normalbetrieb unterschieden werden könne. „Wir liefern in unserem Forschungsvorhaben Lösungen, die das verhindern“, erklärt Philipp Strauß. 

Zudem wollen die Partner herausfinden, wie sich in den Verteilnetzen die nötigen Kapazitäten für die Aufnahme netzbildender Stromrichter schaffen lassen. Dabei berücksichtigen sie auch, dass es mit deren Regelung zu Ausgleichsschwingungen zwischen einzelnen Komponenten kommen kann. Auch die Interoperabilität zwischen den Produkten verschiedener Hersteller soll ein Thema sein.

Verteilnetze werden wichtiger für die Stabilität des Stromsystems

„Den Verteilnetzen kommt bei der Energiewende eine Schlüsselrolle zu: Hier wird ein Großteil des Erneuerbare-Stroms eingespeist, hier werden neue Verbraucher wie Wärmepumpen und Wallboxen installiert“, sagt Thomas Degner vom Fraunhofer IEE und Koordinator des Verbundprojektes. „Mit unserem Forschungsprojekt tragen wir dazu bei, dass die Verteilnetze ihrer Verantwortung für die Versorgungssicherheit gerecht werden können. Damit stärken wir die Resilienz des gesamten Energiesystems.“

Neben allen Herausforderungen bieten die netzbildenden Stromrichter auch Chancen. Sie könnten zum Beispiel bei einer Störung im Höchst- oder Hochspannungsnetz in den darunterliegenden Ebenen Teilnetze bilden. Was praktisch klingt, bietet eine eigene Gefahr. Solche Inselnetze dürfen nämlich keinesfalls unkontrolliert und unbemerkt von der Leitwarte entstehen. Sonst könnten sie Personen und Anlagen gefährden. Auch diese Aspekte sollen Gegenstand des Projektes sein.

Letztlich sollen die gewonnen Erkenntnisse in die Entwicklung von Produkten fließen, um Systemlösungen zu erarbeiten und diese zu erproben. Die SMA Solar Technology AG übernimmt dabei die Entwicklung der Prototypen.

Das Kick-off-Treffen des Forschungsprojekt fand bereits im Juni statt. Leitung und Koordination liegen beim Fraunhofer IEE. Ein Steuerungskreis aus Vertretern von Verteil- und Übertragungsnetzbetreibern sowie von Herstellern aus dem Bereich Netz-Systemtechnik begleitet die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit ca. 2,57 Mio. € gefördert.

Es gibt noch viele weitere Forschungsprojekte, die sich mit der Stabilisierung innerhalb von Verteilnetzen befassen. Eines davon ist das Projekt Flair, bei dem es um das Lastmanagement innerhalb des Verteilnetzes geht.

7.8.2023 | Quelle: Fraunhofer IEE | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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