Energiewende im Koalitionsvertrag: Viel Kontinuität, wenig Strategie

„Der Koalitionsvertrag enthält ein klares Bekenntnis zur Energiewende und auch den systemischen Umstieg auf erneuerbare Energien“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Nina Scheer. Laut Scheer wolle die neue Bundesregierung Effizienzpotenziale im Netz heben sowie Flexibilisierungen erleichtern. Zudem wolle sie die sektorübergreifende Nutzung erneuerbarer Energien stärken und Netzüberlastungen entgegen wirken. „Der Ausbau des Netzes wird mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien synchronisiert – und nicht umgekehrt. Letzteres hätte ein massives Hemmnis mit sich gebracht. Allein darin liegt eine wichtige Weichenstellung für die Energiewende“, so Scheer.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft begrüßt, dass der der Koalitionsvertrag Kontinuität bei der Energiewende verspricht. „Es ist ein gutes Signal, dass die Koalition keine Kehrtwende bei der Energiewende macht, sondern die energiepolitische Kontinuität und einen innovationsgetriebenen Kurs Deutschlands voranbringt“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.
Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) sieht es positiv, dass ein überragendes öffentliches Interesse auch an Batteriespeichern in der erzielten Einigung zu finden ist. Wichtig sei auch die Zusage, die Resilienz der heimischen Produktion von EE-Komponenten stärken zu wollen. Allerdings warnt der BSW-Solar vor einem Zementieren fossiler Kraftwerkskapazitäten und vor einer Verschlechterung der Investitionsbedingungen für erneuerbare Energien im Wärmesektor im Zusammenhang mit der geplanten Abschaffung des sogenannten Heizungsgesetzes. „Der Innovationsstau bei klimafreundlichen Heizungen und Heizkraftwerken muss jetzt schnell aufgelöst werden. Dafür bedarf es einer schnellen Klärung, dass mit Hilfe eines klugen Mixes aus Fördern, Fordern und Fairness die Wärmewende endlich beschleunigt und sozial abgefedert wird. Disruptive Eingriffe und Bremsmanöver sind auch im Stromsektor unbedingt zu vermeiden“, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des BSW-Solar.
Koalitionsvertrag fehlt langfristige Strategie für Energiewende
Kritik übt auch der Think Tank Agora Energiewende. „Der nun veröffentlichte Koalitionsvertrag enthält entscheidende Maßnahmen für die Energiewende – vom Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Netze über die Wärmewende bis zur Industrietransformation – jedoch ist er auf kurzfristige Erfolge und Einsparungen ausgelegt und lässt eine langfristig tragende Strategie vermissen“, sagt Markus Steigenberger, Geschäftsführer der Agora Think Tanks. Die Kopplung des Erneuerbaren-Ausbaus an die Netzkapazitäten bedeute keine Kosteneinsparungen, sondern verschiebe die notwendigen Investitionen lediglich in die Zukunft. Damit riskiere die zukünftige Regierung, dass Wirtschaft und künftige Generationen die Rechnung für verpassten Klimaschutz und eine verlangsamte Industrietransformation zahlen.
Auch der BDEW sieht einige Punkte wie die Staatsbeteiligung im Energiesektor oder die Nutzung der Reservekraftwerke zur Preisdämpfung kritisch und befürchtet europarechtlichen Risiken. „Die Senkung der Energiepreise ist ein wichtiger Beitrag für den Wirtschaftsstandort. Bei der Mittelverwendung sollte aber im Blick behalten werden, dass insbesondere Investitionen vorangebracht werden müssen“, so Kerstin Andreae.
Aus Sicht der Bürgerenergie enthält der Koalitionsvertrag Fortschritte. „Es ist sehr zu begrüßen, wenn es im Koalitionsvertrag heißt, dass die kommende Regierung auch Verbraucher:innen stärker zu Mitgestaltern bei der Energiewende machen will und dabei neben Entbürokratisierung ausdrücklich die Bürgerenergie sowie ihre zentralen Themen Mieterstrom und Energy Sharing als Mittel dafür nennt“, sagt Martin Bialluch, Vorstandssprecher des Bündnisses Bürgerenergie e.V. (BBEn).
Kein großer Wurf bei Mobilität
Für den Bereich der Mobilität sieht der Bundesverband eMobilität (BEM) sieht Licht und Schatten. „Es gibt Lichtblicke – etwa bei der Ladeinfrastruktur, der Batterieproduktion und einzelnen Fördermaßnahmen für eFahrzeuge“, sagt BEM-Vorstand Christian Heep. „Doch der große Wurf bleibt aus. Der Vertrag bleibt vage, die vielzitierte Transformation wird an entscheidenden Stellen verwässert.“ Zudem kritisiert der BEM die Fortführung der sogenannten Technologieoffenheit als politische Leitlinie: „Anstatt sich klar zur emissionsfreien Mobilität zu bekennen, verlängert die Politik mit dieser Strategie die Unsicherheit für Industrie und Investoren“, so Markus Emmert, Vorstand im BEM. Die Förderung von Plug-in-Hybriden und Range-Extendern will die Koalition trotz Klimakritik fortsetzen. Verbindliche CO₂-Ziele, klare Flottenquoten für emissionsfreie Fahrzeuge oder konkrete regulatorische Fahrpläne fehlen. Auch das Ziel, Strafzahlungen bei Flottengrenzwerten zu vermeiden, deutet laut BEM eher auf Rückzug als auf entschlossene Klimapolitik
Auch der Linken-Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin kritisiert die geplante Verkehrspolitik: „Wer bei der Autoindustrie von Technologieoffenheit redet, meint in Wahrheit die weitere Subventionierung des Verbrennungsmotors. Statt konsequent auf E-Mobilität und den Ausbau des ÖPNV zu setzen, gibt es neue Steuergeschenke für teure Dienstwagen und ein offenes Hintertürchen für Plug-in-Hybride. Das ist klimapolitisch sinnlos und sozial ungerecht, so Beutin.
Einbruch der Windbranche im Süden befürchtet
Baden-Württemberg Umweltministerin Thekla Walker erkennt im Koalitionsvertrag deutliche Nachteile für Baden-Württemberg als Windkraft-Standort: „Bei der Windkraft riskiert die künftige Bundesregierung einen erneuten Einbruch der Windbranche im Süden. Die geplanten Änderungen beim Referenzertragsmodell laufen darauf hinaus, dass Projekte aus Baden-Württemberg bei Ausschreibungen nach dem EEG es deutlich schwerer haben werden“, so Walker. Das Modell garantiere bisher, dass eine schwierigere Topographie und Logistik beim Bau von Windrädern berücksichtigt wird. „Dieser Wettbewerbsausgleich zwischen Projekten auf einem Höhenzug im Schwarzwald im Vergleich zu Anlagen in der norddeutschen Tiefebene hat sich bewährt. Denn für Netzstabilität und geringere Netzausbaukosten brauchen wir überall Windkraft. Investoren brauchen dafür stabile Rahmenbedingungen. Dieser Koalitionsvertrag gefährdet die Planungssicherheit für eine Boombranche. Das ist energie- und wirtschaftspolitisch unverantwortlich“, sagt Walker.
Quelle: Nina Scheer, BDEW, BSW-Solar, BBEn, BEM, Lorenz Gösta Beutin, UM-BWL | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH