Sanierung statt Abriss: Plattenbau wird im Sommer energieautark

Zeichnung vom Plattenbau nach der geplanten Sanierung - das Gebäude ist von allen Seiten mit schwarzen Photovoltaik-Modulen bestückt.Grafik: Timo Leukefeld
Ganz in Schwarz: Dach und Fassade werden komplett für Photovoltaik genutzt.
In Aschersleben startet im März der erste Umbau eines Plattenbaus zu einem zeitweise energieautarken Mehrfamilienhaus mit Pauschalmiete und Energieflatrate.

Die städtische Ascherslebener Gebäude- und Wohnungsgesellschaft mbH (AGW) startet gerade die Sanierung eines Plattenbaus zu einem Mehrfamilienhaus, das sich in den Sommermonaten energieautark mit Solarstrom versorgt. Das Vorhaben ist bisher bundesweit einzigartig. „Das Gebäude stand schon lange auf unserer Liste für die energetische Sanierung“, sagt Mike Eley, Geschäftsführer der AGW. Im Inneren des Gebäudes gab es in den vergangenen Jahrzehnten bereits verschiedene Instandsetzungsmaßnahmen. Das Haus hat zum Beispiel neue Fenster und eine neue Elektroinstallation erhalten. Eine Dämmung oder optische Verschönerung an der Fassade gab es bisher nicht.

Auf dem Dach und an drei Fassaden sollen Photovoltaikmodule günstigen Solarstrom produzieren und dafür sorgen, dass das Gebäude nach der Sanierung über Monate energieautark wird. Der Solarstrom soll nicht nur als Haushaltsstrom dienen. Er treibt auch auch ein Elektroauto im Carsharing-Modell an. Auch die Heizung erfolgt elektrisch, und zwar über Infrarotheizungen. Das senkt die Investitionskosten für das Heizsystem stark. Zudem würden so die Kosten für Wartung und Reparaturen planbar bleiben.

Energieautark mit Solarstrom für Haushalt, Heizung und Warmwasser von März bis Oktober

Die Photovoltaik-Module auf dem Dach haben eine Leistung von insgesamt 111 kW, an den Fassaden kommen in Richtung Süden, Osten und Westen weitere 65 kW hinzu. Mit einem Batteriespeicher soll es gelingen, das Gebäude zu 60 Prozent real mit Solarstrom zu versorgen.

Um den hohen Autarkiegrad im Mehrfamilienhaus zu erreichen, setzt die AGW auf drei Arten von Speicher. Vom Tag bis in die Nacht speichern Batterien den Solarstrom. Mittelfristig dienen die Warmwasser-Boiler als Speicher. In jeder Wohnung soll ein 200-Liter-Speicher mit zwei Heizpatronen installiert sein. Eine davon nutzt ausschließlich Solarstrom, der ansonsten nicht im Haus verwendet werden könnte. „So können etwa 80 Prozent des Warmwasserbedarfs solar gedeckt werden“, erklärt Leukefeld.

Als dritte Säule wird die Speichermasse des Gebäudes, also die dicken Betonwände und Neu-Mauerwerk, durch die Infrarotheizung aktiviert. „Diese drei Säulen sorgen für eine hohe Energieautarkie“, resümiert Leukefeld. „Von März bis Oktober werden die Bewohnerinnen und Bewohner in der Regel vollständig autark sein.“ Im Winter soll Ökostrom aus dem Netz hinzukommen.

Pauschalmiete gegen steigende Energiekosten

Die künftigen Mieter:innen zahlen für die 22 Wohnungen mit zwei bis fünf Zimmern eine Pauschalmiete. Diese enthält auch die Kosten für Strom, Wärme und Elektromobilität.

Leukefeld veranschlagt pro Wohnung zwischen 2.000 und 2.500 kWh Haushaltsstrom. Nach Wegfallen der EEG-Umlage ab Mitte 2022 sollen die Energiekosten für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom pro Wohnung bei 32 Euro im Monat liegen. Durch den hohen Anteil an Solarenergie sind die Kosten planbar. So kann das Wohnungsunternehmen sie in der Pauschalmiete mit „Energieflatrate“ einpreisen.

Zusätzlich soll es in den ersten Jahren ein gemeinsames E-Auto geben. Dieses können die Mieter:innen kostenfrei nutzen und dafür stundenweise buchen. Wer also nur selten Auto fährt, kann das eigene Fahrzeug abschaffen und so Geld sparen.

Infrarot-Heizung als Antwort auf den Fachkräftemangel

Das Konzept der energieautarken Mehrfamilienhäuser geht auf den Freiberger Solarexperten und Honorarprofessor Timo Leukefeld und das Autarkieteam mit Architekt Klaus Hennecke und Projektsteuerer Jürgen Kannemann zurück. Sie haben die Sanierung Aschersleben geplant, um den Plattenbau zeitweise energieautark zu machen. Leukefeld ist überzeugt, dass Infrarotheizungen sich immer häufiger gegen die bisher favorisierten Wärmepumpen durchsetzen werden. Sie punkten vor allem mit ihrer Einfachheit. Es sind keine Rohrleitungen wie bei herkömmlichen wassergeführten Heizungssystemen nötig. Dadurch sinken der Zeitaufwand und die Materialkosten für die Montage deutlich. Zudem seien Infrarotheizungen über Jahrzehnte wartungsfrei, was bei dem Handwerkermangel und steigenden Stundensätzen langfristig ein enormer Vorteil sein werde. „Das ist ein großer Wert mit Blick auf die Rendite“, sagt Leukefeld. Mit PV-Strom vom eigenen Dach und den Fassaden könnten die hocheffizienten Infrarotheizungen nicht nur kostengünstig, sondern auch CO2-frei betrieben werden.

Ein ähnliches Konzept planen Leukefeld und sein Team für die Lübbener Wohnungsbaugesellschaft im Spreewald. Dort geht es allerdings um einen Neubau.

Sanierung statt Abriss spart „Graue Energie“ und Ressourcen

Zum Abreißen fanden Eley und sein Team die gut erhaltene Bausubstanz des 50 Jahre alten Plattenbaus zu schade. Allerdings ist das Gebäude nach der Sanierung kleiner, denn es leben heute weniger Menschen in Aschersleben als früher. Die beiden oberen Etagen und ein Segment mit einem Gebäudeeingang hat die AGW entfernt. Als nächstes sollen die unteren drei Stockwerke energetisch saniert und zeitgemäß optimiert werden. Als Mieter hat die AGW zum Beispiel junge Familien im Sinn. „Wir wollen wieder Kinder in das Quartier holen“, sagt Eley. Er kann sich vorstellen, dass die Familien die nächsten 50 oder 70 Jahre in ihrem neuen Heim wohnen. Dafür sind auch familienfreundliche Außenanlagen geplant.

Der Umbau spart im Vergleich zu einem Abriss auch „graue Energie“. So bezeichnet man die gesamte Energie bezeichnet, die in einem Bauvorhaben nötig ist. Dazu gehören u.a. die Gewinnung der Materialien, das Herstellen und Verarbeiten von Bauteilen, der Transport von Menschen, Maschinen, Bauteilen und Materialien zur Baustelle und die Entsorgung. Insbesondere das Herstellen von Beton braucht sehr viel Energie. „Diese graue Energie wollen wir nicht noch einmal verursachen“, erklärt Eley. Zudem will die AGW soweit wie möglich Baumaterialien einsetzen, die kreislauffähig sind. Das heißt, wenn das Gebäude irgendwann abgerissen wird, sollen sich die Materialien recyceln oder kompostieren lassen.

Die Sanierung dieses ersten Plattenbaus soll im April 2023 abgeschlossen sein. Eley bezeichnet sie als Pilotprojekt. „Wir werden die Ergebnisse genau beobachten, zum Beispiel den Stromverbrauch“ sagt er. Wenn Ergebnisse den Erwartungen entsprechen, sollen auch die anderen beiden Plattenbauten in der Kopernikusstraße zu energieautarken Mehrfamilienhäusern saniert werden.

15.3.2022 | Quelle: Timo Leukefeld | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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