Energiepolitik: Mehr Gaskraftwerke, weniger Photovoltaik und Wind?

Eine Studie des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research im Auftrag des Energieversorgers EnBW hat die Möglichkeiten der Reduzierung der volkswirtschaftlichen Kosten der Energiewende untersucht. Die Studie geht davon aus, dass die Gesamtkosten des Ausbaus des Stromsystems bis 2045 um bis zu 700 Milliarden Euro sinken können. Dafür schlagen die Autor:innen vor, die Offshore-Windenergie-Ausbauziele von 70 GW auf maximal 55 GW zu senken, wodurch der Bund einen unwirtschaftlichen Übertragungsnetzausbau vermeiden könne. Falls die Nachfrage für Strom weniger stark ansteigt als bisher geplant, ist eine Begrenzung auf 45 GW sinnvoll. Die Ausbauziele für Photovoltaik sollte der Bund um 140 bis 150 GW kürzen. Bei den Elektrolyseuren sind laut Aurora Energy Research 40 GW zu viel eingeplant. Stattdessen sollten 55 GW wasserstofffähige Gaskraftwerke entstehen, die mit importiertem blauen Wasserstoff laufen sollen.
Wie stark wächst der Strombedarf?
Die Studie fußt laut Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) auf einem weniger stark anwachsenden Strombedarf als ursprünglich erwartet, dimensioniert das System kleiner und setzt auf ein geringeres Nachfragewachstum. Der BEE hatte kürzlich in einer Kurzstudie einen weiter wachsenden Strombedarf prognostiziert. „Die Annahmen von Aurora Energy Research fußen auf der irrigen Annahme, dass die Elektrifizierung in den Bereichen Wärme und Mobilität nicht ausreichend schnell gelingt und zudem die Wirtschaftskrise in den nächsten Jahren nicht überwunden werden kann“, sagt BEE-Präsidentin Simone Peter. Zudem würden geo- und sicherheitspolitische Aspekte ausgeblendet und neue Importabhängigkeiten riskiert, die den europäischen Resilienzbemühungen zuwiderlaufen.
„Diese Studie ist ungeeignet, um eine nach vorne gerichtete Wirtschafts- und Energiepolitik eines prosperierenden Industriestandorts zu gestalten”, so Peter. In Folge falscher Prämissen auch den Ausbau der Erneuerbaren Energien drosseln zu wollen, könne zu Energieknappheit und industriellen Verwerfungen bei Zulieferern und Herstellern auf allen Wertschöpfungsstufen führen. „Die Kappung von Ausbauzielen für die Photovoltaik und Offshore-Windenergie sowie die starke Begrenzung heimischer Elektrolyse sind für ein ambitioniertes Industrieland wie Deutschland völlig deplatziert“, so Peter. Zudem könne blauer Wasserstoff, der auf fossilem Erdgas basiere, könne keine Alternative zu heimischem grünen Wasserstoff sein.
BDEW: Kosten der Energiewende im Blick behalten
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hält es für richtig, die Kosten der Energiewende zu senken, hält aber am geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien fest. „Nachhaltigkeit und Resilienz sind zentrale Gründe, warum wir die Energiewende weiter vorantreiben müssen. Es ist daher wichtig, erneuerbare Energien, Netze, Speicher, steuerbare Gaskraftwerke und Elektrolyseure konsequent weiter und mit Blick auf Systemdienlichkeit auszubauen. Dabei gilt es aber, die Kosten im Blick zu behalten, um langfristig den Wirtschaftsstandort zu stärken und Akzeptanz zu sichern“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. Hier müsse die künftige Bundesregierung die richtigen Weichen stellen.
Da sich die Stromnachfrage in den letzten Jahren nicht wie prognostiziert entwickelt hat, sollte man den Netzausbau optimieren. Daher prüft die Bundesnetzagentur gemeinsam mit der Branche den Netzentwicklungsplan und sollte die Netzausbau-Planung im Sinne der Kosten- und Systemeffizienz an angepassten Szenarien orientieren.
Abbau von Bürokratie bringt Kosteneinsparungen
Bei den Offshore-Ausbauzielen sollte der Bund nach Ansicht des BDEW einen Wechsel von Leistungszielen in Gigawatt hin zu Ertragsziele in Terrawattstunden prüfen, ohne das Ambitionsniveau des eingeschlagenen Ausbaupfads zu reduzieren. Deutliche Kosteneinsparungen sind auch durch den Abbau von Bürokratie zu erwarten. „Zu bürokratische und kleinteilige Regelungen nehmen den Unternehmen den nötigen Gestaltungsspielraum für die Energiewende“, sagt Andreae. „Melde- und Berichtspflichten binden Arbeitszeit, Arbeitskraft und Geld in den Unternehmen und sind dabei oft nicht zielführend. Ein mutiger Bürokratieabbau fehlt bisher, obgleich dieser während des Wahlkampfs stets in Aussicht gestellt wurde.“
Um die Kosten-Effizienz der Energiewende zu steigern, sollte der Bund die Förderprogramme besser aufeinander abstimmen. Im Wärmesektor sollte man Doppelförderungen vermeiden. Einzelne Förderprogramme, wie die Förderung der Ladeinfrastruktur, könne der Bund ganz streichen. „Bei Ladesäulen zeigt die bisherige Entwicklung, dass es effizienter ist, auf den Markt zu setzen“, sagt Andreae.
Nina Scheer: Diskussion verlängert Abhängigkeit von Erdgas und verteuert die Energiewende
Die Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagesfraktion, Nina Scheer, erklärt: „Wer künftige Strombedarfe in der Prognose nach unten korrigiert, obwohl sie mit der Wärme- und Verkehrswende sowie über Grünen Wasserstoff deutlich steigen werden, zementiert die Abhängigkeit von Erdgasimporten und bremst damit zugleich heimische Investitionen in die Energiewende aus.”
Der Ersatz von Erdgas gelinge entweder über den Umstieg auf Strom oder grüne Moleküle, mithin – jenseits des Bioenergie-Einsatzes – auf grünen Wasserstoff, so Scheer. Beides werde rein physikalisch die Strombedarfe erhöhen. Wer über restriktive Prognosen nun auf eine zu reduzierende Angebotsseite ziele, der unterbinde damit die Anreize für Elektrolyseure bzw. Grünen Wasserstoff, der umso günstiger werde, je mehr erneuerbares Stromangebot es gebe. Grüner Wasserstoff werde aber aktuell noch nicht ausreichend nachgefragt, um in den Hochlauf zu kommen.
Scheer argumentiert: “Würde das Stromangebot nun gedrosselt, wird es zu den benötigten Hochläufen nicht kommen und werden zugleich Zukunftsmärkte auf Basis Erneuerbarer Energien abgewürgt, was zu einer Verlängerung unserer Abhängigkeit von Erdgas und der Schaffung neuer Import-Abhängigkeiten führen wird.”
Scheer warnt vor Importen von Wasserstoff auf Basis konventioneller Energien mit fragwürdigen Nachhaltigkeits-Standards. Diese würden den heimischen Markt für grünen Wasserstoff zusätzlich erschweren. Angesichts des unter Donald Trump begonnenen Handelskrieges werde die heutige Abhängigkeit von Erdgasimporten aber zu einem verschärften Sicherheitsrisiko.
Scheer: Chance auf sauberen günstigen Strom erhalten
In den Augen der SPD-Energiepolitikerin könnte die aktuelle Debatte aber noch weitergehende Folgen haben: “Die Strommengendebatte ist längst zum Einfallstor geworden, den Ausbau erneuerbarer Energien in Frage zu stellen, womit den Menschen und Unternehmen die Chance auf sauberen wie günstigen Strom genommen wird.”
Scheer: “Unsere Volkswirtschaft, Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbraucher gehen somit als Gewinner hervor, wenn Erneuerbare Energien beschleunigt ausgebaut werden und fossile Energiegewinnung ersetzen. Das Fragezeichen an künftige Strombedarfe würgt eben diesen Erfolgskurs ab – zum Schaden unserer Volkswirtschaft.“
Quelle: EnBW, BDEW, BEE, Nina Scheer | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH